Analphabetismus in Deutschland: Zeit zum Handeln

Foto: E-Plus Gruppe
Veröffentlicht am 10.09.2012

Am 8. September fand der internationale Alphabetisierungstag der UNESCO statt. Noch immer wird Analphabetismus in der öffentlichen Wahrnehmung als ein Nischenthema angesehen.

Studien beweisen es: Die Zahl der funktionalen Analphabeten ist erschreckend hoch. 7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland im Alter zwischen 18 und 64 Jahren können laut einer Studie der Universität Hamburg nicht richtig lesen und schreiben. Auf Europa bezogen ist sie prozentual sogar noch höher. Eine aktuelle Studie im Auftrag der EU-Kommission zeigt, dass jeder fünfte Europäer nicht ausreichend schreiben und lesen kann.

Viele Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen mogeln sich durch den Alltag. Häufig versuchen Analphabeten aus Furcht vor Benachteiligung im Beruf und Bekanntenkreis ihre Schwäche zu verbergen. Wer nicht ausreichend lesen und schreiben kann, ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen des Lebens ausgeschlossen.

Hier setzt die Arbeit des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung an, den die E-Plus Gruppe seit vielen Jahren unterstützt. Der Verband organisiert und vermittelt Lese- und Schreibkurse für Analphabeten, bietet mit seinem ALFA-Telefon kostenlose und anonyme Beratung für Betroffene und Angehörige und setzt sich intensiv für eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit im Hinblick auf das Thema Analphabetismus ein.

Schavan sieht bei Analphabetismus Handlungsbedarf

Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat den dringenden Handlungsbedarf erkannt und eine nationale Strategie zur Verringerung der Zahl funktionaler Analphabeten ausgerufen. Denn trotz der großen Kraftanstrengungen ist die Beteiligungsquote an Alphabetisierungskursen noch immer sehr niedrig. Nur ca. 20.000 der insgesamt 7,5 Millionen Analphabeten in Deutschland nehmen derzeit an solchen Kursen teil.

E-Plus hat den internationalen Alphabetisierungstag daher zum Anlass genommen und gemeinsam mit dem Bundesverband Alphabetisierung am 6. September Lernende, Politiker und Bildungsexperten ins BASE_camp Berlin eingeladen. Diskutiert wurde darüber, welche Anstrengungen in Politik und Gesellschaft notwendig sind, um die Zahl der Analphabeten in Deutschland zu reduzieren.

„Man schafft es sicherlich nicht, 100 Prozent der Betroffenen zu motivieren. Aber wir müssen dazu kommen, dass jeder, der das will, auch eine realistische Chance hat“, erläuterte Peter Hubertus, Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung, die aktuelle Situation. Er diskutierte mit dem bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Ernst Peter Rossmann, und der ehemaligen Betroffenen Jutta Stobbe, was sich in Politik, Bildungseinrichtungen, Wirtschaft und Öffentlichkeit verändern muss, um den Analphabetismus in Deutschland wirksam zu bekämpfen.

Hubertus machte deutlich, dass man Betroffene nur dann erreicht, wenn man konkret auf ihre Situation eingeht und ihnen Perspektiven aufzeigt: „Die besten Motivatoren sind aus meiner Sicht ehemalige Betroffene, die anderen Lernenden Mut machen und davon berichten können, welche Lebensqualität sie gewonnen haben.“

Dies konnte die ehemalige Betroffene Jutta Stobbe bestätigen: „Der Weg, sich zu überwinden und aus der Einsamkeit heraus zu trauen, ist steinig und hart. Es erfordert großen Mut, sich zu outen und zu sagen: Ich kann nicht richtig lesen und schreiben – aber ich will das lernen!“ Seitdem sie ihren Analphabetismus besiegt hat, macht sie sich intensiv für Betroffene stark. Sie geht auf die Ängste der Analphabeten ein und zeigt ihnen, was sich alles ändern kann, wenn man den Mut hat, sich der Herausforderung zu stellen. „Die Welt ist jetzt für mich jetzt größer geworden. Ich kann beispielsweise die Kunsthalle besuchen. Alles ergibt nun einen anderen Sinn“,  erklärte Stobbe.

Ernst Rossmann, der gleichzeitig Vorsitzender des Deutschen Volkshochschul-Verbandes ist, machte deutlich, dass es nicht allein genüge, Schreibkurse für Analphabeten anzubieten. Man müsse die Betroffenen in ihrer ganzen Persönlichkeit wahrnehmen. Daher sei es wichtig, auch das soziale Umfeld der Analphabeten einzubeziehen und die Qualität der Angebote weiter zu verbessern. Nur so könne es gelingen, in den Kursen eine Atmosphäre zu schaffen, die angstfrei ist – eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Alphabetisierung. Rossmann forderte zudem eine höhere Wertschätzung des Themas Analphabetismus und eine bessere finanzielle Unterstützung durch die Politik.

Einigkeit bestand auch darüber, dass es wichtig ist, auch die Wirtschaft einzubinden. Mike Cosse, Leiter Unternehmenskommunikation und Politik der E-Plus Gruppe erklärte: „Mobile Kommunikation ist unser Kerngeschäft. Und die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben ist Grundvoraussetzung, um Smartphones oder Tablet-PCs zu nutzen. Wir sehen uns daher in der Verantwortung, allen Menschen die Teilhabe zu ermöglichen.“

Smartphones, Tablet-PCs und das Internet können Analphabeten helfen

Was Vielen gar nicht bewusst ist: Smartphones und Tablet-PCs können wichtige Hilfsmittel für Lernende darstellen. Denn die mobile Kommunikation und die jederzeitige Verfügbarkeit des Internets bieten Menschen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten viele Chancen, so z.B. virtuelle Lernportale, die auch eine anonyme Kontaktaufnahme ermöglichen oder die Möglichkeit, Texte anzuhören. Dies bestätigt auch Jutta Stobbe. Eines ihrer wichtigsten Hilfsmittel bei dem Weg in die Alphabetisierung sei das Internet gewesen.

Schlagworte

Empfehlung der Redaktion