Die iPad-Keynote – Tim Cook spielt auf Nummer sicher

Ole Tillmann ist Speaker-Coach, Foto: Ole Tillmann
Veröffentlicht am 12.03.2012

von Ole Tillmann

Eine Apple Produkt-Präsentation zu analysieren, ist eine interessante Aufgabe. Schließlich setzen nicht nur Apples Produkte Standards sondern auch die dazugehörigen Produktpräsentationen. Die Frage ist: Wie lange noch?

Akt I

Wir befinden uns in einem abgedunkelten Saal. Wie immer bei Apple-Präsentationen sehen wir eine übergroße Leinwand zentral auf der Bühne. Wie die Dimensionen einer Kathedrale auf ihre Besucher beeindruckend wirken, so wirkt die Größe der Leinwand unterbewusst auf uns. Sie lässt uns (relativ) klein fühlen. Die Botschaft: Apple steht über allem. Der Focus des Raumes liegt auf dem hell leuchtenden Apple-Logo. Wie von vorherigen Inszenierungen gewohnt, sind den Sprechern zwei Orte auf der Bühne zugewiesen: Einer vor der Projektion in der Mitte der Bühne, der andere vom Publikum gesehen links am Rand der Bühne. Hier befindet sich später das neue iPad, dessen Inhalte auf den Screen übertragen werden können. Apple behält im Bühnendesign seine klare, reduzierte Designsprache bei.

Tim Cook: Kein zweiter Steve Jobs

Tim Cook betritt die Bühne. Er lächelt, ist gut gelaunt und Ton in Ton mit der dunkelblau gehaltenen Bühne gekleidet. Mir springt sofort ein Bild von Steve Jobs mit seinem typischen schwarzen Rollkragenpulli in den Kopf. Um es vorweg zu nehmen: Es soll das letzte Mal während dieser Keynote sein, das mein Unterbewusstsein Tim Cook mit Steve Jobs vergleichen will. Denn Tim Cook macht seinen Job zurückgenommen, aber unterhaltsam, persönlich und sehr professionell.

Er begrüßt kurz das Publikum und steigt direkt (ohne die allseits beliebte Gliederungsfolie) in die Präsentation ein. Um seinen Zuhörern unmittelbar den Ort des Geschehens seiner Story zu erläutern, spricht er über die über die „allgegenwärtige Post-PC Revolution“. Dem Gehirn seiner Empfänger liefert er somit direkt Orientierung (Frei formuliert: „Hier befindet ihr Euch. So sieht die Welt heute aus. Sie verändert sich rasant. Apple hat diese Welt aktiv gestaltet. Apple geht voran und wird Euch sicher durch diese Welt führen.“). Tim Cook wird nicht müde zu betonen, dass Apple nicht nur Produkte entwickelt hat, sondern ganze Produktkategorien. Er macht Apple mit seiner Produktpalette damit zum Protagonisten seiner Geschichte. In den PCs scheint er seine ersten Antagonisten gefunden zu haben. Auch die Eigenschaft der Produkte nennt er mehrfach im Verlauf der Präsentation: portabel, persönlich und bedienerfreundlich. Alles in allem könnte man die Apple-Kernbotschaft so oder so ähnlich zusammenfassen:

„Apple hat mit seinen Produkten eine neue Produktkategorie geschaffen. Es liefert seinen Kunden in Zeiten der Post-PC Revolution mit seinen konkurrenzlos fortschrittlichen, persönlichen und bedienerfreundlichen Produkten als einziger Hersteller von mobilen Endgeräten zuverlässig Innovation und Orientierung bei vollkommener Integration von Hard- und Software. Das neue iPad schreibt diese atemberaubende Geschichte weiter.“

Dieser Satz ist deshalb so wichtig, weil er der gesamten Präsentation eine einheitliche Gestalt (engl. „unity“) verleiht. Immer wieder beziehen sich auch die folgenden Sprecher in ihren Redeeinheiten auf der Bühne direkt oder indirekt auf dieses Statement.

Nachdem wir die Zahlen des letzten Jahres und des letzten Quartals elegant eingewebt in die Storytelling-Struktur serviert bekommen, leitet Tim Cook auf die Wirksamkeit der Apple-Stores in der „Echt-Welt“ für Neukunden über. Mal sind die Aktionäre Zielgruppe von Cook´s Äußerung, dann wieder die Kunden und die Journalisten und Apple-Jünger vor Ort.

Emotionalisierung von Zahlen

Das eingespielte Video der Neueröffnung des Stores in der kathedralenhaften New Yorker Grand Central Station in typisch amerikanischer Cheering-Mentalität kann auf Europäer gelegentlich etwas dick aufgetragen wirken, verfehlt dennoch nicht seine Wirkung: Die Emotionalisierung der Zahlen. Sprach Tim Cook vorher noch über potentielle Neukunden, so sehen wir sie hier symbolisch, unter Anfeuerung der Apple-Mitarbeiter, den Olymp des Apple Universums erklimmen. Freudestrahlend nehmen sie die Produkte in Empfang. Das traut sich nur Apple.

Körpersprache stimmt

Die Körpersprache von Tim Cook wirkt bis auf ein zwei kleine Holperer am Anfang durchgängig kongruent mit seinen Inhalten. Er strahlt Ruhe, Seriosität und Gelassenheit aus. Das Timing mit den Folien stimmt. Nur seine zu häufigen Blicke auf den Boden mindern seine Präsenz. In seinem multisensorischen Wordings spricht er immer wieder den Seh- und Tastsinn seiner Zuschauer an. Die häufige Verwendung der Wörter „incredible, amazing, beautiful, love, great“ wirkt über die Dauer der Präsentation eintönig.

Nachdem Eddy Cut (Apple Senior Vice President Internet Software and Services) das neue Apple TV vorstellen darf und dieser mit einer seiner Lieblingsfilmszenen einen bewusst gesetzten „human moment“ schafft („Love that scene.“), übernimmt Cook wieder das Steuer und leitet auf das Hauptprodukt über. Er präsentiert zuerst allgemeine Verkaufszahlen des iPads und setzt diese dann in den Kontext mit den PC-Verkäufen anderer Hersteller. Er belegt durch die höheren Verkaufszahlen des iPads gegenüber der Konkurrenz wieder seine zentrale Botschaft (Post-PC Revolution) und garniert diese Aussage mit einem Zitat eines Journalisten der PC-World. Nach einer weiteren Darstellung von Verkaufszahlen in Form einer Timeline, wird dann das Produkt präsentiert, das diese Erfolgsgeschichte fortschreiben soll. Geschickt gemacht.

Zusammenfassung als Überleitung

Damit endet der erste Akt der Cookschen iPad-Story. Wir wissen nun in welcher Welt wir uns befinden (überall um uns herum). Wir kennen das Thema und die Herausforderung (Post-PC Revolution). Wir wissen, dass Apple nicht nur virtuelle sondern auch analoge Kontaktpunkte zu seinen Neukunden für wichtig hält um Orientierung zu bieten (die Stores). Wir wissen, das Apple Hardware (iPhone, iPod, iPad) und Software (iOS) perfekt integriert hat, die Cloud auch für Filme genutzt werden kann und das das neue Apple TV zur zentralen Abspielstation für in der Cloud gespeicherte Fotos, Videos und Filme ausgebaut wurde. Apple ist mit seinen Produkten in allen Bereichen bestens aufgestellt, lautet die Botschaft des ersten Aktes. Mit der Erwähnung des neuen iPad setzt Tim Cook einen Wendepunkt, mit dem er in den zweiten Akt einleitet.

Akt II

Für die Präsentation des neuen iPad darf dann ein weiterer älterer Herr die Bühne betreten: Apple-Vize Phil Schiller. Randnotiz: Während der gesamten 1:24 Stunden (Spielfilmlänge) befindet sich keine einzige Frau physisch auf der Bühne. Da sich die Apple-Verantwortlichen dieses Umstandes bewusst zu sein scheinen, dürfen Frauen und Kinder multiethnischer Herkunft im Multimedia-Content auftauchen. Damit tragen sie dem unbewussten Wunsch des Publikums nach geschlechtlicher Vollständigkeit in der Geschichte Rechnung. Jedoch mildern sie meiner Meinung nach den Effekt der fehlenden Weiblichkeit auf der Bühne nur ab. Ganz auflösen können sie ihn nicht.

Redundanz als Stilmittel

Aber zurück zu Phil Schiller und dem neuen iPad. Wir erleben zu Anfang die klar strukturierte Darstellung der fünf wichtigsten Produktinnovationen. Dabei folgt er für jede der Kategorien (Display, Kamera, HD-Videoaufnahmen, Diktiergerät, LTE)  einer ähnlichen Struktur: Er nennt die technischen Features, zeigt emotionalen Multimedia-Content (Urlaubsbilder, Videos, Wasser, Strand, Tiere etc.), fasst alle Details zusammen und gibt dem Ganzen ein Superlativ als Label („Best display ever.“). In einer abschließenden Animation werden alle Kategorien erneut kurz aufgezeigt und erläutert. Diese ständige Redundanz soll uns dabei helfen uns die gelieferten Informationen besser abspeichern zu können. Eine Technik, die auch Tim Cook wieder und wieder einsetzt. Nicht immer finde ich dieses Stilmittel angebracht. Es fühlt sich sehr stark danach an, als wolle man hier auch dem schläfrigsten Journalisten noch die richtigen Fakten in seinen Notizblock zitieren.

Fragen als Leitfaden

Meisterlich erfüllen die Erzähler der neuesten Apple-Geschichte hingegen eine weitere Disziplin: Wie in einem guten Film beantworten sie antizipatorisch nahezu jede mögliche Frage, die im Publikum aufkommen könnte. Besseres Display? Verbraucht das nicht auch mehr Strom? Wird es durch den neuen Akku dicker und schwerer? In welche Farben wird es erhältlich sein? Was wird es kosten? Wann kommt es? In welchem Land zuerst? etc.

„Human Moments“

Auch Phil Schiller darf seine „human moments“ abfeiern („Biggest dog on earth“, „I want to smash that guitar“, „I want to go out an use iPhoto for my photos.“). Dadurch wirkt er nahbar und verleiht seinem Auftritt Leichtigkeit. Ein Stilmittel welches die persönliche Akzeptanz beim Publikum und seine Glaubwürdigkeit erhöht.

Die Visuals (Fotos, Videos, Illustrationen, Animationen) werden wie von Apple zu erwarten professionell eingesetzt. Der Einsatz folgt dabei immer drei Absichten:

  1. Produktverbesserungen sollen visualisiert werden.
  2. Markenwerte sollen sichtbar werden.
  3. Die Marke Apple soll emotional aufgeladen werden.

Zum Ende seines Auftrittes spielt er ein Video mit einer Zusammenfassung aller zuvor auf der Bühne erzählten Inhalte. Das Präsentieren der gleichen Inhalte über verschiedenen Medien erhöht die Wahrscheinlichkeit des Erinnerns beim Zuschauer.

Akt III

Für den dritten Akt kommt Tim Cook wieder auf die Bühne. Er sagt den neuen Werbeclip an, die eigene Passion gegenüber den Produkten wird beteuert und tituliert die heutige Darstellung als „erst der Anfang“. Tim Cook kreiert mit dieser Technik ein Erwartungsvakuum beim Publikum und baut einen Spannungsbogen bis zur nächsten Präsentation auf.

Hollywood-Dramaturgie

Ole Tillmann ist Speaker-Coach
Ole Tillmann ist Speaker-Coach, Foto: Ole Tillmann

Im Resultat haben wir eine hochprofessionelle Produktpräsentation aus dem Hause Apple erlebt. Die 3-Akt-Struktur und die Dauer der Vorstellung ist der Filmdramaturgie entnommen. Tim Cook spielt mit der gewählten Struktur ganz klar auf Sicherheit. Wir bekommen nur die polierte Oberfläche zu sehen. Warum kommt nicht mal ein „echter“ Kunde z.B. in einem Interview zu Wort? Oder wir könnten ja auch mal einen „Behind-the-Scenes“-Einblick in die Apple Labs bekommen. Durch das Internet sind wir mittlerweile eine sehr viel offenere Kommunikation gewohnt.  Zudem findet keinerlei Interaktion mit dem Publikum statt. Diese Präsentation ist keine Konversation, sondern ein Monolog. Apple wirkt aufgrund seiner Vertreter auf der Bühne alt und damit weit entfernt von großen Teilen seiner Zielgruppe. Warum kommt nicht mal eine junge Entwicklerin zu Wort?

Apple muss auf dem Gebiet der Produktpräsentation aufpassen, nicht den Anschluss gegenüber der jüngeren Konkurrenz zu verlieren. Jüngere Unternehmen Firmen wie Google oder Facebook könnten sich mit alternativer Darstellung ihrer Produkte bei ihren Vorstellungen einen Vorsprung erarbeiten. Und dabei könnten sie eine Kernkompetenz, die Apple für sich beansprucht, zum Leuchten zu bringen: Innovationsfreude.

Zum Autor: Ole Tillmann ist Moderator, Schauspieler und Schauspielcoach mit Sitz in Berlin. Er betreut als Speaker Coach seit 2009 u.a. die Sprecher der Konferenzen TEDxBerlin und NEXT Berlin.

 

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