Digitaler Impuls: Otto Vollmers von der FSM

Otto Vollmers, FSM, zu Jugendmedienschutz, Foto: FSM
Veröffentlicht am 08.07.2015

Nach über einem Jahr Bundestagsausschuss Digitale Agenda und fast einem Jahr Digitale Agenda der Bundesregierung möchten wir erfahren, welche Ergebnisse erreicht wurden und wo aus Sicht der Stakeholder noch etwas zu tun bleibt. Der Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) stellt sich heute unseren Fragen zum Bereich „Digitale Lebenswelten in der Gesellschaft gestalten“.

Der Verein der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter engagiert sich zusammen mit seinen Mitgliedsunternehmen und -verbänden dafür, den Jugendmedienschutz zu stärken und illegale, jugendgefährdende und entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte in Onlinemedien einzudämmen. Zur Sicherung einheitlich hoher Standards im Jugendschutz hat die FSM gemeinsam mit den Mitgliedern Selbstverpflichtungen für verschiedene Bereiche der Onlinewelt aufgestellt. Darüber hinaus betreibt die FSM eine Beschwerdestelle, an die sich jeder Nutzer kostenlos wenden kann, um strafbare und jugendgefährdende Onlineinhalte zu melden. Zu den weiteren Kernaufgaben der FSM zählen Aufklärungsarbeit und Medienkompetenzförderung von Kindern und Erwachsenen.

Kinder- und Jugendmedienschutz kommt zu kurz

Der Bundestagsauschuss Digitale Agenda besteht seit einem Jahr, die Bundesregierung hat einen ersten Bericht zur Umsetzung ihrer in 2014 beschlossenen Digitalen Agenda vorgelegt. Wie bewerten Sie die bisherigen Ergebnisse der Digitalisierungspolitik in Deutschland? Welche Aspekte sind Ihrer Ansicht nach bisher zu kurz gekommen?

FSM-Geschäftsführer zu Jugendmedienschutz
Otto Vollmers, FSM, zu Jugendmedienschutz, Foto: FSM

Es ist wichtig, dass digitale Themen öffentlich und politisch platziert werden, denn das Digitale ist immer mehr Teil unseres Lebens. Kinder- und Jugendmedienschutz sollten dabei als Verfassungsgut nicht hintanstehen. Die digitale Agenda geht hierauf nur sehr allgemein ein. Konkrete Ziele kommen zu kurz. Hierzu zählt die Förderung von modernen Maßnahmen des technischen Jugendschutzes, also von Tools für Eltern, um gerade jüngere Kinder vor schädigenden Inhalten zu schützen. Es fehlt auch die Finanzierung und Verankerung medienpädagogischer Maßnahmen in Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen. Nur so hält Bildung mit der technischen Entwicklung Schritt. Außerdem fehlt die internationale Ausrichtung des Onlinejugendschutzes.

Wer waren für Sie im letzten Jahr die wichtigsten politischen Impulsgeber zur Digitalen Agenda und wessen Stimme sollte mehr Gehör finden?

Hier ist für den Bereich des Kinder- und Jugendmedienschutzes vor allem die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig zu nennen – sie hat das Thema Kinder- und Jugendschutz auf der Agenda und auch die Onlinethemen nach vorne getrieben. Diese politische Relevanz tut der Entwicklung in diesem Sektor gut.

Darüber hinaus gibt es viele Stimmen, die sinnvolle Beiträge liefern, aber es fehlt an übergeordneten politischen Impulsen – oft verlieren sich die Diskussionen in Kompetenzstreitigkeiten oder scheitern an Komplexität und wirtschaftlich geringer Relevanz. Seit dem Misslingen der Gesetzesnovelle 2010 ist der Kinder- und Jugendmedienschutz zudem kein politisches Gewinnerthema mehr. Trotzdem muss die Politik hier mutig sein und die notwendigen Schritte tun. Die systematische politische Evaluation des Kinder- und Jugendmedienschutzes, auch im internationalen Zusammenhang, erfordert aufgrund der komplexen Zusammenhänge und Entwicklungen ein verstetigtes, wissenschaftliches und gleichzeitig schnelles Vorgehen, das nicht an Legislaturperioden halt machen darf. Sonst kommen wir nicht weiter.

Neustrukturierung Jugendmedienschutz notwendig

Welche drei Ziele sollten Ihrer Meinung nach bis zum Jahr 2017 auf jeden Fall erreicht sein?

Wir brauchen eine grundlegende Neustrukturierung des Jugendmedienschutzes. Erstens muss die Konvergenz der Medien, d.h. die Konzentration auf den Onlinebereich, als Distributionsweg für jede Art von Inhalt, gesetzlich konsequent und für die Unternehmen pragmatisch geregelt werden. Zweitens müssen technische Lösungen für jüngere Kinder entstehen, die funktionieren und z.B. durch geschickte Verwebung mit Content für die Eltern attraktiv, einfach und nützlich sind. Drittens muss der Fokus, der momentan auf dem Schutz, also auf dem Verbergen bzw. dem Verbieten von Inhalten liegt, aufgrund der scheiternden Umsetzbarkeit künftig mehr auf die Stärkung von Medienkompetenz gerichtet werden. Schutz und Bildung gehören zusammen, bzw. sind zwei Seiten derselben Medaille. Beides muss auch gesetzlich verknüpft, Medienbildung konsequent gefördert werden. Das alles ist wegen der Kompetenzverteilung schwierig, aber machbar, wenn die Akteure willens sind.

Zeitgemäßer Jugendmedienschutz muss schneller sein

In der Digitalen Agenda ist von einem „zeitgemäßen Jugendmedienschutz“ die Rede. Was können wir uns darunter vorstellen?

Zeitgemäßer Jugendmedienschutz bedeutet für mich flexible, umsetzbare und international anschlussfähige Lösungen – und damit eine Stärkung der Selbstkontrollen, die bewiesen haben, dass sie dies leisten können. Er bedeutet einen sinnvollen, technischen Schutz für jüngere Kinder, Stärkung von Werten, Sozialkompetenz und Fähigkeiten zum Selbstschutz für alle Minderjährigen. Er bedeutet internationale Anschlussfähigkeit, wie etwa das Projekt MIRACLE, das auf die grenzüberschreitende Interoperabilität von Klassifizierungsinformationen abzielt. Er bedeutet, der Medienkonvergenz durch eine einheitliche Gesetzgebung gerecht zu werden.

Zeitgemäßer Jugendmedienschutz bedeutet aber auch, das bestehende System in seiner Trägheit in Frage zu stellen. Wir müssen schneller werden, sonst hinken wir auf ewig hinterher.

Wie bewerten Sie den Antrag der Koalitionsfraktionen „Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden“ und welche Maßnahmen sollten darüber hinaus seitens der Politik ergriffen werden, um Jugendlichen mehr Medienkompetenz mit auf den Weg zu geben?

Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Sie stärkt die Verankerung von Medienbildung im Lernraum Schule. Der Antrag richtet sich mit einem breiten Katalog auch an Bundes- und Landesebene, was ebenfalls sinnvoll ist. Die Förderung und Stärkung von Open Educational Ressources ist z.B. hervorzuheben. Zu kritisieren ist, dass stark auf den Lern- und Bildungsraum Schule fokussiert wird – das greift in einer mobilen, digitalen Welt, in der Lernen auch außerhalb der Schule möglich ist, zu kurz: Es fehlen z.B. Orte der non-formalen Bildung wie die Jugendarbeit oder medienpädagogische Einrichtungen.

Selbstkontrolle im digitalen Bereich notwendig

Um schneller auf Trends reagieren zu können, entwickeln Sie gemeinsam mit ihren Mitgliedsunternehmen Selbstverpflichtungen statt auf gesetzliche Regelungen zu warten. Ist dieses Modell auf andere Bereiche der Digitalpolitik übertragbar?

Davon bin ich überzeugt. Dies lässt sich nicht nur im Hinblick auf Selbstverpflichtungen sagen, sondern bezüglich aller Aktivitäten, die die Selbstkontrolle entfaltet. Ich gehe so weit zu sagen, dass wir Ansätze der Selbstkontrolle im digitalen Bereich übergreifend benötigen, um das System ausreichend zu beschleunigen. Nur so können wir Schritt halten. Bedenken, dass Selbstkontrolle in sensiblen Bereichen zu Wildwuchs ausartet oder zu einem Feigenblatt wird, kann man durch einen passenden gesetzlichen Rahmen begegnen, in dem der Staat am Ende durchgreifen kann. So kommt es nicht zum Kontrollverlust, gleichzeitig kann die Selbstkontrolle schnell und innovativ auf Entwicklungen reagieren. Der Jugendmedienschutzstaatsvertrag hat es vorgemacht – auch wenn dieses Gesetz inzwischen in vielen Punkten hoffnungslos veraltet ist.

Man sieht an allen Ecken und Enden, dass die Charakteristika des Internet die klassischen Strukturen überfordern. Ich sehe Selbstkontrolle derzeit als einziges tatsächlich umsetzbares Konzept, um der digitalen Entwicklung regulatorisch sinnvoll zu begegnen.

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