Diplomatie auf Twitter – direkter Draht oder Kampagnen-Kanal

Veröffentlicht am 11.05.2015

Laurent Fabius ist französischer Außenminister und ein Fan von Hillary Clinton – wie er auf Twitter bekennt. Dass die amerikanische Präsidentschaftskandidatin nicht umgehend auf sein Kompliment geantwortet hat, liegt nur daran, dass sie selbst fast ausschließlich ihren eigenen Kanälen folgt, während der ehemalige französische Ministerpräsident der best-vernetzte „World Leader“ in 2015 ist. Die Macher der Twiplomacy-Studie zählen 100 direkte Verbindungen zwischen ihm und anderen „Peers“ – also Außenministern sowie Staats- und Regierungschefs.

Seit 2012 untersucht die Kommunikationsberatung Burson-Marsteller die Entwicklung der Twitter-Kommunikation zwischen „World Leaders“ und den dazugehörigen Institutionen. In nur drei Jahren hat sich dabei die Anzahl der auswertbaren Accounts fast verdreifacht – von 264 auf 669 – und die Anzahl der vertretenen Länder ist um ein Viertel angestiegen. Die Welt der Diplomatie scheint in der neuen Zeit angekommen zu sein, auch wenn die Depesche trotz Wikileaks wahrscheinlich noch nicht ganz aus der Mode gekommen ist.

Twitterkönig Barack Obama

Trotz der gestiegenen Konkurrenz gibt es seit Beginn der Erhebung einen uneinholbaren Twitterkönig: Barack Obama. Bereits 2012 folgten ihm knapp 17 Mio. Menschen, davon 76 Führer anderer Nationen oder Regierungen. Heute sind es 58.888.505 Follower. Und die wird der derzeitige US-Präsident nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit 2016 auch mit in den Ruhestand nehmen, da er über seinen persönlichen und nicht über einen offiziellen POTUS-Account kommuniziert.

Während Obama, der Papst und auch der indische Premierminister Narendra Modi ihre Accounts als Kampagnen-Tools nutzen, um ihre Unterstützer anzusprechen, lassen sich andere tatsächlich auf ein Gespräch ein. Als Vertreterin des „Alten Kontinents“ hat es die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg in die Top 5 der gesprächigsten World Leader geschafft. Mit deutlichem Abstand auf Platz 1 liegt allerdings der ruandische Präsident, Paul Kagame, der laut Studie auch gerne mal öffentlich mit seinen Kindern twittert.

Diplomatie mit anderen Mitteln

Da man jetzt den einen oder anderen Diplomaten auch direkt erreichen kann, wird dieser Kanal auch für direkte politische Auseinandersetzungen über Ländergrenzen hinweg genutzt. Während die Studie davon spricht, dass Twitter im März/April 2015 der bevorzugte Kanal war, um Verhandlungsfortschritte bei den Atom-Gesprächen mit dem Iran zu kommunizieren, war das Tool gleichzeitig Schauplatz eines diplomatischen Frontalangriffs auf den Iran.

Über den direkten Draht zum iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif torpedierte der republikanische US-Senator Tom Cotton das Verhandlungsmandat des eignen Präsidenten mit persönlichen Angriffen gegen den iranischen Chefdiplomaten Sarif. Patriotischer zeigte sich da jüngst der US-Botschafter in der Türkei. Nachdem der Oberbürgermeister von Ankara, Melih Gökçek, die Sprecherin des US-Außenministeriums, Marie Harf, in einem Tweet als „dumme Blondine“ bezeichnet hatte, starte John R. Bass eine Protestaktion. Auf Instagram zeigte er sich erblondet und stellte klar: „#American diplomats: we’re all blonde.

Deutschland ohne Twitterpräsenz

Das zeugt von Social Media-Kompetenz und scheint im Trend zu liegen, denn die Studie zählt mehr als 100 US-Vertretungen mit eigenem Twitter-Account. Spitzenreiter bei der gelebten „Twiplomacy“ ist allerdings Großbritannien, das 237 twitternde Botschafter sowie Auslandsvertretungen vorweisen kann. Für die Deutschen scheint das ganze diplomatische Gezwitscher noch immer „Neuland“ zu sein. In keinem der Rankings taucht ein deutscher Vertreter auf und die Bundeskanzlerin ist die einzige G7-Vertreterin, die nicht auf Twitter präsent ist. Unter den G20 vertritt immerhin Regierungssprecher Steffen Seibert mit seinem persönlichen Account und knapp 365.000 Followern die Bundesregierung. Aber den wird er wohl ähnlich wie Barack Obama irgendwann mit in den Ruhestand nehmen.

 

 Update: POTUS ist da

Was lange währt, wird doch noch Realität. Präsident Obama bekam am 18. Mai 2015 doch noch seinen offiziellen Account – POTUS ist da.

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