Gutachten zum Verbraucherschutz in der Digitalen Welt

Bundesminister Heiko Maas – hier beim UdL Digital Talk – berief 2014 den SVRV ein, Foto: Henrik Andree
Veröffentlicht am 02.02.2016

„Einfach, verständlich und vergleichbar“ – so könnte man die Kernforderungen des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen (SVRV) zusammenfassen, der unlängst einen Bericht zum Verbraucherschutz in der Digitalen Welt vorgelegt hat. Heiko Maas, der das Beratungsgremium im November 2014 berufen hat, skizzierte in seiner Rede anlässlich der Präsentation des Berichts, die Ausgangslage für den Bericht: „Das erste Thema, das sich der Sachverständigenrat vorgenommen hat, ist gut gewählt. Die Digitalisierung ist zu einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Totalphänomen geworden.“ Das „Gremium der unabhängigen Querdenker und Vordenker“ wie Maas sie nennt, hat einen Bericht erarbeitet, der neben allgemeinen Empfehlungen weitere Expertisen zu den Themen Finanzen, Gesundheit und Handel abgibt. Die zwölf allgemeinen Empfehlungen bieten nur wenig innovative Maßnahmen, sondern sind mehr eine Bestandsaufnahme des aktuellen Wissensstandes. So konstatiert der Rat ein „Informations-, Gestaltungs- und Betroffenheitsungleichgewicht zwischen Angebots- und Nachfrageseite“ und empfiehlt dem entgegenzuwirken. Konkrete Vorschläge unterbleiben allerdings. Empfohlen wird auch, für eine „grundlegende Mindestsicherung der persönlichen Daten und der IT-Sicherheit nicht nur den notwendigen Rechtsrahmen zu setzen, sondern zudem für eine effektive und effiziente Rechtsdurchsetzung zu sorgen. Helfen sollen dabei „behördliche Maßnahmen und zivilgesellschaftliche Aktivitäten“. Progressiver wird es, wenn der Sachverständigenrat fordert „eine bewusste Selbstvermarktung persönlicher Daten“ zu ermöglichen, indem beispielsweise Tools zur Einschätzung des Werts der eigenen Daten zur Verfügung gestellt werden. Gewagt ist sicherlich auch die Forderung, Transparenz „über die den Algorithmen zugrundeliegenden Kriterien“ zu erhalten.

Der Frontalangriff auf die „New Economy“ wird fortgesetzt, wenn die Experten die marktbeherrschende Stellung, insbesondere von Intermediären wie Amazon, Facebook oder Google beklagen und ein „profundes Wettbewerbsproblem“ diagnostizieren. Helfen könne da nur eine „durchsetzungsstarke Wettbewerbspolitik“. In der Verantwortung sehen die Autoren hier ganz klar das Kartellamt, das dazu beitragen soll, die Innovationskraft der Digitalen Welt zu bewahren. Schon zu den Klassikern gehört die Forderung nach „privacy by design“ und „security by design“, einfachen Verschlüsselungstechnologien, datenschutzfreundliche Voreinstellungen („privacy by default“) und einer einfachen Portabilität der Daten zur Vermeidung von Lock-in-Effekten.

Bundesminister Heiko Maas
Bundesminister Heiko Maas – hier beim UdL Digital Talk – berief 2014 den SVRV ein, Foto: Henrik Andree

Mündige Verbraucher

Neben den technischen Vorkehrungen bedarf es aber auch mündiger Verbraucher. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen, Bildungsschichten oder Altersgruppen sollen diese systematisch gefördert werden – von der Vor-Schule über die Schule und Ausbildung bis hin zu Weiter- und Erwachsenenbildung. Um die Mechaniken der digitalen Welt zu durchschauen, sollen den mündigen Verbrauchern glaubwürdige Metainformation angeboten werden – auch Mindeststandards in der Verbraucherinformation und die Überwachung mit „geeigneten Rechtsinstrumenten“ könnten nach Ansicht der Autoren helfen.

Gütesiegel für die Finanzbranche

In eigenständigen Berichten gehen die Experten noch einmal detaillierter auf die Herausforderungen in den Branchen Finanzen, Gesundheit und Handel ein. Unter der Überschrift „Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung unter einer Digitalen Agenda“ untersucht der Sachverständigenrat auf rund 60 Seiten zum einen genauer, wie sich die Digitalisierung auf den Zahlungsverkehr auswirkt, und zum anderen, welche Auswirkungen Online-Beratung und -Information auf die Verbraucher hat. Um angesichts der zurückgehenden Bargeldnutzung bei den Verbrauchern Vertrauen für neue Zahlungssysteme aufzubauen empfehlen die Gutachter das Allheilmittel Gütesiegel, „welches einfach und verständlich dokumentiert, dass ein Zahlungsdiensteanbieter hinsichtlich Sicherheit und Zuverlässigkeit sowie bezogen auf den Schutz der persönlichen Daten mehr als die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt“. Dafür gebe es auch eine Zahlungsbereitschaft, so die Analyse.

Transparenz und verbraucherfreundliche Technik

Visa
Der SVRV ist up to date und prognostiziert Wachstum im Online-Handel, CC by 2.0 Flickr User Fosforix/Titel: E-Commerce Visa (Test tamron 17-50 2.8) / Ausschnitt angepasst

„Digitale Welt und Handel. Verbraucher im personalisierten Online-Handel“ ist die Überschrift des zweiten Schwerpunktthemas. Während die Branche schon längst über Crosschannel-Vertrieb diskutiert, schreiben die Experten des BMVJ, dass der Online-Handel zum Wachstumsmarkt wird. Positiv wird festgehalten, dass „Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter und innovative Geschäftsmodelle sowie Start-Ups“ gering sind und die „Märkte grenzüberschreitend“. Das in anderen Branchen beanstandete Fehlen von Produktinformationen ist hier durch „zahlreiche Produktinformations-, Bewertungs- und Vergleichsportale“ nicht das Problem, allerdings sind die Informationen nicht immer unabhängig – „zudem besteht systematisch ein großer Wissensvorsprung der Anbieterseite bezüglich einer genauesten Kenntnis des Handelspartners auf der Grundlage einer breiten Datenbasis“. Empfohlen wird deshalb den Online-Handel transparent und attraktiv zu gestalten. Helfen könnte dabei in den Augen der Experten eine „verbraucherfreundliche Technikgestaltung mit Sicherheitsdefaults und Datenvermeidung wo möglich“. Unterstützt werden könnten die Verbraucher bei Zustimmungs- bzw. Widerspruchsmöglichkeit durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen. Obwohl „heute im Online-Handel in Deutschland die personalisierte Preisdifferenzierung (noch) wenig stattfindet“ treibt die Sorge davor den Sachverständigenrat um. Zwar zeigt eine vom Sachverständigenrat in Auftrag gegebene Studie, dass aus verschiedenen Gründen – andere Unternehmensprioritäten, fehlende technische Infrastruktur, mangelnde betriebswirtschaftliche Rendite sowie die Sorge um einen Vertrauensverlust der in Deutschland eher datenschutzaffinen Kunden – kein akuter Handlungsbedarf besteht, doch die Gefahr von Diskriminierung und Ausschluss wächst, warnen die Experten.

Gütesiegel für den Gesundheitsbereich

Der dritte Untersuchungsschwerpunkt „Digitale Welt und Gesundheit. eHealth und mHealth – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich“ nimmt die Fragen „zu personalisierten Angeboten, zu Informations- und Gestaltungsasymmetrien sowie zum ‚Privacy Paradox’, wie sie im Papier zum Online-Handel behandelt werden“ wieder auf und ergänzt sie um „die Fragen zu Datenschutz und (IT-)Sicherheit aus der digitalen Welt der Finanzen“. Positiv wird festgehalten, dass die Digitalisierung Probleme lösen könnte, die die Gesundheit der Verbraucherinnen in der analogen Welt bisher beeinträchtigt haben. So entstehe durch neue Techniken der Selbstvermessung (Apps, Wearables) das Potenzial für ein kontinuierliches, hochaufgelöstes Bild des Individuums, bei dem Überschreitungen von individuellen Grenzwerten frühzeitig, unabhängig von einem Arztbesuch, erkannt werden und präventiv Verhalten geändert werden kann. Aber auch hier fehlt es nach Ansicht der Experten wiederum an transparenten und verlässlichen (evidenzbasierten) Verbraucherinformationen und an der Alltagskompetenzen der Verbraucher. Empfohlen wird deshalb „ein (kleines) Institut einzurichten, das Wege findet, mit Hilfe digitaler Technologien wie sozialer Netzwerke diese verlässlichen Quellen auch der Mehrheit der Bevölkerung bekannt zu machen“. Ein Qualitätssiegel, z.B. durch das IQWIG, wäre ebenfalls hilfreich.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Nadine Brockmann ist als Analystin für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.

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