Rückblick auf den UdL Digital Talk vom 10.11.2014: „Wie fit sind Recht und Politik für die digitale Gesellschaft?“

Heiko Maas | UdL Digital Talk | 10.11.2014 | Foto: E-Plus Gruppe
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Veröffentlicht am 13.11.2014

Die Digitalisierung bringt neue digitale Geschäftsmodelle mit sich und wirft die Frage auf, wie die Gesellschaft diesen rasanten Wandel begleiten und gestalten kann. Einige der bestehenden Rechtsgrundlagen scheinen auf die neue digitale Welt nicht mehr ausreichend angepasst zu sein. In manchen Fällen haben bereits hohe Gerichte Entscheidungen über digitale Fragestellungen getroffen. Dies war das Thema des UdL Digital Talk, der am 10. November im Berliner BASE_camp mit dem Titel „Wie fit sind Recht und Politik für die digitale Gesellschaft?“ stattfand. Moderiert von Cherno Jobatey diskutierten Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, und Prof. Dr. Stefan Groß-Selbeck, Geschäftsführer von BCG Digital Ventures.

Privatsphäre vs. Innovation?

Zu Beginn stellte der Bundesminister fest, dass durch die Digitalisierung „extrem schnelle Verfallszeiten“ herrschen und viele Rechtsbereiche darauf noch nicht eingestellt seien. Daher befänden wir uns derzeit in einer entscheidenden Phase, in der viele Rechtsgrundlagen erneuert werden müssten. Ein Beispiel dafür sei die Vorratsdatenspeicherung, die der Europäische Gerichtshof dieses Jahr in seiner jetzigen Form für rechtswidrig erklärt hatte. Daraufhin hätten die betroffenen EU-Länder ihre Gesetzgebung angepasst, erläuterte Maas. Grundsätzlich merkte er an, dass nicht alles erlaubt sein solle, was technisch machbar sei.

UdL Digital Talk mit Cherno Jobatey
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Für den Unternehmer Groß-Selbeck besteht die große Herausforderung darin, zwei Dinge „unter einen Hut zu bringen“: Auf der einen Seite den Schutz für den Einzelnen, d.h. die Privatheit zu wahren, und auf der anderen Seite Innovationen zu ermöglichen. Die Problematik bestehe darin, dass Innovation heutzutage bedeute, Daten zu sammeln und zu verarbeiten.

Wie weit das Konzept der Privatsphäre gefasst werde, sei „eine politische Frage“, betonte Maas. Jedoch sei die digitale Entwicklung so rasant, „so schnell kann man keine Gesetze machen“. Ohne zu zögern gab er zu, die langen AGBs bestimmter Dienste und Anwendungen einfach ungelesen durchzuscrollen, um am Ende des Textes das entsprechende Kästchen zum Anklicken zu finden – und seiner Meinung nach lese niemand die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die derzeitige Darstellung und Formulierung der AGBs sei einfach keine Entscheidungsmöglichkeit für die Nutzer, kritisierte er und forderte, es müsse eine einzelfallbezogene Einwilligung für die Nutzung der Daten geben.

Europäische Regelungen sind gefragt

Groß-Selbeck betonte, Datenschutz sei eine große wirtschaftliche Dimension. Es sei jedoch „eine Mär“, dass ein strikter Datenschutz ein Wettbewerbsvorteil sei, hob er eindringlich hervor, vielmehr sei dies ein Wettbewerbsnachteil. Er bestand darauf, es sorge nicht für mehr Wettbewerbsfähigkeit, den Datenschutz zu verschärfen. Der Bundesminister verwies vor diesem Hintergrund auf die EU-Datenschutzgrundverordnung, die nächstes Jahr verabschiedet werden soll. Weiterhin erklärte er dazu, Datenschutz sei für ihn keine relevante Kategorie bei Verhandlungen, sondern es handle sich ganz einfach um ein Recht – dafür erntete er viel Beifall vom Publikum. Ein Wettbewerbsnachteil sei es nur dann, wenn europaweit unterschiedliche Rechtsgrundlagen herrschen, stimmte er seinem Gesprächspartner immerhin teilweise zu. „Ich hab mit dem Datenschutz nur Ärger”, fügte Maas hinzu, mit Verweis auf die schwierige Debatte in Deutschland und Europa. Allerdings erklärte er, die Bürger hätten „ein sehr nachvollziehbares Bedürfnis“, dass der Staat ihnen per Gesetz informationelle Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer Daten gewährt.Bei Anwendungen auf dem Smartphone müssten die Nutzer vorher einwilligen und darüber informiert werden, welche Daten genutzt werden, forderte er. Datensouveränität sei ein wichtiger Aspekt.

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Früher fand Datenverarbeitung nur in großen Rechenzentren statt, während es heute allgegenwärtig sei, erläuterte Groß-Selbeck den Wandel in der Debatte. Auch aus diesem Grund müssten die Rechtsgrundlagen angepasst werden. Maas äußerte seine Überzeugung, Anbieter sollten Nutzer fragen müssen, ob dessen personenbezogenen Daten genutzt werden dürfen. Bisher seien zu viele Entscheidungen den Gerichten überlassen worden, bemängelte der Justizminister. Derzeit gebe es außerdem intensive Gespräche über Daten, die im vernetzten Auto anfallen, und über die Rahmenbedingungen ihrer Verarbeitung.

Maas empfiehlt „vorher nachdenken“

Gesetze müssen allgemeine Regelungen sein, keine Einzelfallregelungen, betonte Maas. Die Digitalisierung stelle Anforderungen an die aktuelle Gesetzeslage, denen diese momentan noch nicht immer entsprechen könne, erklärte er. Es gebe definitiv „Aufholbedarf“, insbesondere sei eine europäische Regelung notwendig. Andererseits hob er positiv hervor, dass der Datenschutz derzeit „nicht so überreguliert“ sei, „dass niemand etwas machen kann“. Mit einem Blick auf die Gesellschaft kommentierte er, die Sensibilität der Verbraucher dafür, was mit ihren Daten passiert, sei momentan gar nicht vorhanden. Er glaube, ein Großteil der Menschen sei momentan nicht bereit, auf die Schnelligkeit des Netzes zu verzichten. Dagegen helfe nur eine Sensibilisierung der Nutzer, vor allem frühe Aufklärung an den Schulen, meinte Groß-Selbeck. Allerdings könne man dem Verbraucher die Verantwortung nicht abnehmen, widersprach der Minister. Bevor man persönliche Daten ins Netz stelle, müsse man „vorher nachdenken“ und sich nicht hinterher beklagen, wenn sich die Daten nicht mehr entfernen ließen. Dieses Szenario lasse sich gesetzlich nicht regeln.

Vom Kulturwandel zum Währungswandel

Schließlich wurden noch kulturelle Unterschiede diskutiert. Groß-Selbeck betonte, wirtschaftliche Risiken würden in den USA viel häufiger eingegangen und Scheitern sei in Deutschland deutlich schlechter angesehen. Maas wehrte sich gegen diesen häufig zitierten Vorwurf und betonte, es sei gut, dass Europa anders ist. Diesen „Kulturpessimismus“ lehne er ab. Dennoch könne man sich durchaus einige positive Aspekte von den USA abschauen. Beispielsweise sei es in Deutschland noch deutlich schwieriger, nach einmaligem Scheitern neue Geldgeber zu finden. Nach seiner Meinung zur digitalen Agenda der Bundesregierung gefragt, befand der Unternehmer, diese sei „nicht aggressiv genug“ und kritisierte die Aufteilung auf drei Bundesministerien. Es seien klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten notwendig. Maas widersprach entschieden und stellte die Frage in den Raum, wie nur ein einzelner Minister für all die Querschnittsthemen zuständig sein solle.

Abschließend kündigte der Politiker auf Nachfrage aus dem Publikum an, der lang erwartete Entwurf zur Störerhaftung werde noch in diesem Jahr vorgelegt. Es existiere bereits ein Entwurf, der auf Arbeitsebene diskutiert werde, aber noch nicht politisch abgestimmt sei. Auf eine weitere Frage der interessierten Zuschauer nach virtuellen Währungen schätzte er, dass diese sich generell durchsetzen werden. Es sei aber noch zu früh, um in dieser Hinsicht über konkrete Regulierungen zu sprechen.

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