Zwischen Shitstorms und leichten Brisen

Veröffentlicht am 16.08.2013

In der digitalen Welt braucht es manchmal nur wenige Worte für eine große Wirkung. Für manche Politiker ist es ein Fluch, andere kommen dadurch endlich mal in die Schlagzeilen. Ist die öffentliche Reaktion auf eine Aussage besonders groß, zeichnet sie sich durch einen spöttischen Unterton aus und entlädt sie sich vor allem in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook, spricht man inzwischen von einem „Shitstorm“:

Shitstorm, der: Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht

Politiker aller Parteien mussten diese zweifelhafte Aufmerksamkeitswelle bereits über sich ergehen lassen. Der etwas weniger bekannte Gegenpart ist übrigens der Candystorm (geprägt vom Grünen-Politiker Volker Beck), manchmal auch Lovestorm oder einfach Flausch genannt. Die positiven Begeisterungswellen sind allerdings eher selten anzutreffen. Man kritisiert eben lieber und häufiger als man lobt.

Kreativität trifft auf Inhalte

shitstorm
Das Besondere an den entfachten Diskussionen im Internet ist die Kreativität, die sie entfalten. Nicht immer steht die inhaltliche Debatte dabei im Vordergrund und häufig werden die Argumente über visuelle Formate ausgetauscht.

Was mit einem einfachen und sicher gut gemeinten Vorschlag im Bundestagswahlprogramm begann, gipfelte für die Grünen Anfang August in noch immer anhaltendem Aufruhr bei Twitter (#veggieday). Im Netz hagelte es Beschwerden bis hin zum Vorwurf, eine grüne Diktatur schaffen zu wollen. Sofort kursierten eine Reihe kreativer Fotomontagen durch das Netz, die sich über das Vorhaben amüsieren. Dass selbst ernannte Autoritäten – egal zu welchem Thema – bei den Vertretern der Geschmacksfreiheit im Netz nicht gut ankommen, hat auch der grüne Parteivorsitzende Cem Özdemir Mitte diesen Jahres gelernt. Als er öffentlich auf seinem Facebook-Profil befand, dass Rock’n’Roll nicht zu konservativen Politikern passe, erntete er nicht nur Widerspruch von CDU-Mitgliedern. Ob diese Art des öffentlichen Feedbacks einer Partei schadet, bleibt offen, denn immerhin werden Politikern und Inhalten dadurch größere Aufmerksamkeit zuteil. Vielleicht wird auch der eine oder andere unentschlossene Anhänger mobilisiert, der sich bisher nicht zu einer (öffentlichen) Meinung durchringen konnte.

Schlecht gewählte Worte von Politikern enden in Spott

Ein bestimmtes Thema kann auch einem einzelnen Politiker zum Verhängnis werden. Zum Stichwort Vorratsdatenspeicherung trat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel im Juni 2012 eine aufgeregte Debatte los, indem er seine Befürwortung für die umstrittene Maßnahme in einem Tweet aussprach und gleichzeitig die FDP angriff. Dass Angriffe gegen andere Parteien nach hinten losgehen können, musste im selben Jahr auch FDP-Generalsekretär Döring erfahren, als er das Politikverständnis der Piraten als „Tyrannei der Masse“ bezeichnete. Mitglieder der Piratenpartei waren empört und das Netz reagierte prompt  – zum Beispiel mit dem Vorschlag, diese „Tyrannei“ als Demokratie zu interpretieren.

Unverhoffte Resonanz erlebte Ansgar Heveling. Der CDU-Bundestagsabgeordnete zog im Januar 2012 den Spott der Netzgemeinde auf sich, nachdem er in einem Gastbeitrag im Handelsblatt das Ende des Web 2.0 prophezeit hatte. Mit den vielzitierten Worten „Liebe ‚Netzgemeinde’: Ihr werdet den Kampf verlieren, das Web 2.0 ist bald Geschichte“ offenbarte er nicht nur seinen Kenntnisstand der digitalen Gesellschaft, sondern unterschätzte auch die IT-Kompetenz und Kampfbereitschaft der „digitalen Maoisten“ – wie er sie nannte. Hacker verbreiteten nicht nur seine Zugangsdaten bei Twitter, sondern verkündeten auf seiner Website auch seinen Austritt aus der CDU.

Worte werden zu Bildern

Glücklicherweise werden schlecht gewählte Worte nicht immer mit einem kriminellen Gegenschlag bestraft, viel öfter regen sie vor allem die Kreativität des politischen Gegners an. Dies führt heutzutage zu einem politischen Diskurs, der mehr auf Visualisierung setzt, als das in Tagen des gedruckten Papiers der Fall war. Jüngstes Beispiel ist der Shitstorm, den die Aussage des Kanzleramtsministers Ronald Pofalla zur NSA-Affäre hervorbrachte. Nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages hatte der CDU-Politiker erklärt, die Vorwürfe der Überwachung seien „vom Tisch“. Die Netzgemeinde macht sich nun einen Spaß daraus, Pofalla Worte in den Mund zu legen, nach denen er Zustände wie das schlechte Wetter, die Privatsphäre oder die „Glaubwürdigkeit der Bundesregierung“ beendet. Die neue Allmacht des Kanzleramtsministers, die auf dem Tumblr-Blog „Pofalla beendet Dinge“ zu besichtigen ist, lässt dabei nicht nur den politischen Gegner schmunzeln. Noch nicht visualisiert, dafür ähnlich kreativ traf es im Jahr 2010 den CDU-Politiker Axel E. Fischer, der mit seinem „Vermummungsverbot im Internet“ die Abschaffung von Anonymität und Pseudonymität im Netz forderte. Dass er zur selben Zeit auch den Vorsitz der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages inne hatte, trug sicherlich dazu bei, dass der digitale Sturm von absurden Forderungen, die im Namen des Abgeordneten von der Netzgemeinde erdacht wurden, besonders heftig über ihn hinwegfegte.

Wie üblich in solchen Fällen verbreitet sich der Hashtag rasant und führt dabei den Spott fort, nicht jedoch die ursprüngliche Diskussion. Das mag manch ein politischer Kommentator beklagen, aber immerhin erreichen Themen auf diese Weise auch den weniger politisierten Teil der Bevölkerung. Während sich die einen über die mediale Aufmerksamkeit freuen – die ihren Höhepunkt erreicht, wenn die klassischen Printmedien über „die Stürme im Internet“ berichten – ziehen die anderen schnell weiter und verlagern die sachliche Auseinandersetzung zum Thema in Expertenblogs. Inzwischen vergeht kaum eine Woche ohne einen Shitstorm – auch wenn der Begriff durchaus inflationär benutzt wird. Die Reaktionen im Netz reflektieren in jedem Fall auf unterhaltsamer Ebene die Kernpunkte jeder Auseinandersetzung – sei es ein Sturm oder nur eine laue Brise.

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