Aufbruchsstimmung „Made in Germany“: Bundesregierung beschließt KI-Strategie

Foto: CC0 1.0, Pixabay User GDJ | Farbe angepasst
Veröffentlicht am 21.11.2018
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Unter den richtigen Rahmenbedingungen könne die KI ein jährliches Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent bis 2030 auslösen. Das prognostiziert zumindest die Unternehmensberatung McKinsey. Damit hätte Künstliche Intelligenz das höchste Potential für Wirtschaftswachstum aller bisherigen technologischen Innovationen. Um dieses Potenzial für die deutsche Volkswirtschaft zu heben, hat die Bundesregierung auf ihrer Klausur am 14. und 15. November im Hasso-Plattner-Institut eine KI-Strategie beschlossen. In dieser ist auf 47 Seiten zusammengefasst, wie die Regierung einen „Rahmen für eine ganzheitliche politische Gestaltung der weiteren Entwicklung und Anwendung Künstlicher Intelligenz“ etablieren will. Im Folgenden finden Sie die wichtigsten Punkte der Strategie und die Einschätzung von Fachpolitikern und Experten.

Zielsetzungen

Zu Beginn formuliert die Strategie die drei wichtigsten Ziele, auf die die Bundesregierung alle Maßnahmen ausrichtet. Diese sind erstens die Entwicklung Deutschlands zu einem führenden KI-Standort, zweitens die verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Nutzung von KI und drittens die Einbettung von KI in einen ethischen, rechtlichen, kulturellen und institutionellen Rahmen. Diese Ziele werden in Unterpunkten konkretisiert. Hervorzuheben ist hierbei der starke Fokus auf Forschung und die Übertragung der Forschung in die Wirtschaft; besonders in den Mittelstand. Ebenfalls heraus sticht der Wille, Daten nutzbar zu machen, egal ob in Kooperation von Unternehmen oder durch die Herausgabe von Daten durch den Staat. All diese Entwicklungen stehen aber immer unter der Prämisse, dass „KI dem Menschen dienen“ sollen.

KI-Forschung

Um diese Ziele zu verwirklichen, teilt die Regierung ihre Strategie in zwölf Handlungsfelder auf und stellt bis 2025 drei Milliarden Euro zur Verfügung. Den größten Anteil daran erhält die Forschungsförderung. Das dazugehörige Kapitel in der Strategie ist mit 17 Seiten auch am umfangreichsten. Um die deutsche KI-Forschung an der Weltspitze zu etablieren, will die Bundesregierung mindestens 100 neue Professuren schaffen. Außerdem sollen zahlreiche Netzwerke und Kooperationsprojekte aufgebaut werden. Dazu zählen unter anderem ein Nationales Netzwerk von mindestens zwölf Zentren und Anwendungshubs sowie europäische Innovationscluster.

Auch die deutsch-französische Kooperation wird in der Strategie erwähnt. Allerdings ist von dem ursprünglich diskutierten gemeinsamen Forschungszentrum Abstand genommen worden. Stattdessen soll es jetzt ein sogenanntes „deutsch-französisches Forschungs- und Innovationsnetzwerk“ geben – was weniger konkret ist. Grund für das Scheitern eines gemeinsamen Forschungszentrums war wohl auch, dass sich die Verständigung auf einen Standort schwierig gestaltete. Das jetzt geplante Forschungsnetzwerk soll durch drei gezielte Maßnahmen gefördert werden. Erstens über ein Programm, das jährlich Ausschreibungen zu einem spezifischen KI-Thema tätigt. Zweitens durch eine bessere Vernetzung der Forscher, was beispielsweise durch mehr Konferenzen geschehen soll. Und drittens durch einen befristeten Personalaustausch zwischen den deutschen und französischen KI-Zentren sowie gemeinsame Nachwuchsausbildungsprogramme. Neben Netzwerken und Kooperationen ist in der Strategie auch häufig von Plattformen zu lesen. So will die Regierung den Aufbau einer Daten- und Analyseplattform „prüfen“.

Ein Problem, dass die Regierung in der Strategie für die Forschung und Entwicklung ausgemacht hat, ist die zu geringe Attraktivität für Forscher, in Deutschland zu bleiben oder nach Deutschland zu kommen. Aus diesem Grund will sie ein „Gesamtpaket“ schnüren, das neben finanziellen Aspekten auch „die persönlichen Karrieremöglichkeiten“ einbezieht. Zudem sollen die internationale Sichtbarkeit sowie die infrastrukturellen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen verbessert werden. Was im Detail darunter zu verstehen ist, wird in dem Papier nicht ausgeführt.

Wissenstransfer und Kooperationen

Der Transfer von Forschungsergebnissen in reale Produkte steht ebenfalls auf der Liste der Dinge, die mit der KI-Strategie verbessert werden sollen. Um das zu erreichen, setzt die Bundesregierung auf unterschiedliche Maßnahmen, die allerdings bis auf einige Ausnahmen unkonkret bleiben. So sollen „Fördermaßnahmen weiterentwickelt“, „Akteure besser vernetzt“ und „Leuchtturmprojekte gefördert“ werden. Spezifischer wird das Papier bei der Unterstützung des Mittelstands. „KI-Trainer“ sollen Mittelständler beraten und „jährlich 1.000 Unternehmenskontakte erzielen“. Dafür will die Regierung mindestens 20 solcher Trainerstellen schaffen. Zudem sollen Testfelder aufgebaut werden, die mit Rechnerkapazität und Datenanalyseinfrastrukturen ausgestattet sind. Daten als Ressource für KI-Anwendungen thematisiert die Strategie auch: So plant die Regierung, Wirtschaft und Wissenschaft Daten von Bundesbehörden zur Verfügung stellen und den Aufbau eines „Europäischen Datenraumes“ zu unterstützen. Weiterhin möchte sie die Forschung zur Datenanonymisierung vorantreiben sowie Text und Datamining vereinfachen.

Aktuell stehen Betriebe schnell vor hohen Hürden, wenn es um den Datentransfer geht. Damit der Austausch von Daten einfacher wird, sollen das deutsche und das europäische Wettbewerbsrecht geändert werden. Außerdem sollen sogenannte Datenpartnerschaften zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen geprüft werden. Die Strategie verweist hierzu auf die Arbeit der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0, die bis zum Herbst 2019 konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten soll. Unterstützen soll dabei auch ein KI-Monitor, der die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz beobachten und die Herkunft und Nutzung von Daten und Hardware erfassen soll.

Auch Gründer und Start-ups, die sich dem Thema KI widmen, will die Bundesregierung stärker fördern. Dazu soll das Budget des Existenzgründungsprogramms EXIST „gegenüber den Vorjahren“ verdoppelt werden. Für den Haushalt 2018 waren für EXIST 40 Millionen Euro veranschlagt. Daneben soll auch die öffentliche Förderung von Wagniskapital ausgebaut werden. Die staatseigene KfW soll dafür ihr Investitionsvolumen bis 2020 auf 200 Millionen Euro pro Jahr erhöhen.

Aus- und Weiterbildung

Um die absehbaren Auswirkungen der KI auf dem Arbeitsmarkt abzumildern, will die Bundesregierung stärker in die Bildung aller Bevölkerungsschichten investieren. Dafür verweist sie auf mehrere Gesetze und Strategien. So soll die Weiterbildung von Arbeitnehmern durch das Qualifizierungschancengesetz verbessert werden, das am 19. September vom Kabinett verabschiedet wurde. Zudem sollen in einer Nationalen Weiterbildungsstrategie Weiterbildungsprogramme von Bund und Ländern gebündelt, transparenter gemacht und bedarfsgerechter auf Beschäftigte ausgerichtet werden. Die Strategie ist für den Sommer 2019 angekündigt.

Kontrolle und Standards

Um sicherzustellen, dass KI immer den Menschen dient, will die Bundesregierung die Einrichtung einer Algorithmenkontrolle prüfen. Dadurch soll unter anderem Diskriminierung durch KI verhindert werden, wie sie schon in Algorithmen in den USA auftraten. Auditierungsstandards und Standards zur Folgenabschätzung sollen hierfür erarbeitet werden, die alle Entscheidungsprozesse des Algorithmus erkennen und bewerten, ohne auf Betriebsgeheimnisse zugreifen zu müssen. Die Entwicklung von Standards ist aus Sicht der Bundesregierung generell ein wichtiges Thema. Sie will sich deshalb für die Normensetzung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene einsetzen und sich innerhalb der EU auf einen europäischen Standardisierungsfahrplan verständigen. Eine „Roadmap“ soll auch in Kooperation mit der DIN entwickelt werden.

Reaktionen auf die KI-Strategie

Im politischen Berlin stößt die KI-Strategie auf ein geteiltes Echo. FDP, Linke und Grüne kritisieren sie als zu unkonkret. Anna Christmann, Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik der Grünen im Bundestag, beschreibt die Strategie als ein „Sammelsurium an Buzzwords“ ohne Prioritäten und Zeitpläne. Die technologiepolitische Sprecherin der Linken, Petra Sitte, kritisiert zu wenige Fortschritte bei Open-DataAktivitäten des Bundes und bei der Urheberrechtsschranke für Text- und Datamining. Der digitalpolitische Sprecher der FDP, Manuel Höferlin, sieht die Strategie als symptomatisch für die Bundesregierung. Es würden zwar die Probleme ausführlich analysiert, bei Lösungen hapere es aber. Die KI-Trainer für den Mittelstand und das KI-Monitoring sieht er als nicht ausreichend an, um die KI-Forschung in die Betriebe zu überführen.

Stefan Heuman, Mitglied des Vorstands der Stiftung neue Verantwortung (SNV), sieht das etwas differenzierter. Die Strategie könne sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Betrachte man andere Länder, sei das Papier sogar sehr konkret. Aus seiner Sicht fehlt allerdings eine klare Priorisierung wichtiger Anwendungsfelder. Deutschland werde nicht alles mit der gleichen Fokussierung und Ressourcen bearbeiten können. Es scheint, als hätte man sich innerhalb der Regierung nicht auf besonders wichtige Handlungsfelder einigen können, so Heumann. Wünschenswert wäre aus seiner Sicht auch die Definition oder zumindest die Ankündigung der Entwicklung von Erfolgsindikatoren für das Monitoring der Umsetzung der KI-Strategie gewesen.

Überarbeitung im Jahr 2020

Die Bundesregierung geht in ihrer Strategie häufiger darauf ein, dass sie wisse, dass KI sich schnell verändern kann und sich somit bestimmte Ziele und Maßnahmen als nutzlos herausstellen können. Zur Beobachtung der Entwicklungen beim Thema Künstliche Intelligenz will die Regierung deshalb ein Observatorium KI einrichten. 2020 soll die KI-Strategie dann auf den Prüfstand und je nach Bedarf könnte sie dann auch komplett überarbeitet werden.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Martin Müller ist Analyst für Digitalpolitik.  

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