Breitbandausbau und “free data flow” für den Digital Single Market der EU

Andrus Ansip, Foto: European Union 2015
Veröffentlicht am 06.10.2015

„Wir sind in großer Eile“, sagte der EU-Kommissar für den digitalen Binnenmarkt, Andrus Ansip, am Dienstag, 29. September, bei seinem Besuch in Berlin. Der Vize-Präsident der EU-Kommission war Anfang der Woche zwei Tage in der deutschen Hauptstadt zu Gast, um in politischen Gesprächen mit Vertretern der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag für den Maßnahmenkatalog der Europäischen Kommission zu werben, mit dem der digitale Binnenmarkt in der EU einheitlicher und wettbewerbsfähiger werden soll. Einen „Digital Single Market“ gebe es schon – aber nicht hier, sondern in den USA, erläuterte der ehemalige estnische Ministerpräsident den Grund seiner Ungeduld. „Wir haben 16 Schritte, die dieses und nächstes Jahr zu tun sind, und alle Schritte sind wichtig“, sagte Ansip über die „Digital Single Market“-Strategie der EU-Kommission, die er im Mai gemeinsam mit dem EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, präsentiert hatte.

Der Status quo in der EU ist für Wirtschaft und Verbraucher gleichermaßen unbefriedigend, wie der EU-Vertreter anhand von Beispielen verdeutlichte. Die 28 verschiedenen gesetzlichen Regularien seien vor allem für kleine Unternehmen ein Exporthindernis, so Ansip. Die EU will daher die Verbraucherrechte beim Online-Handel vereinheitlichen. In der Wirtschaft soll es europaweit mehr Transparenz und mehr Wettbewerb geben. Um entsprechende gesetzliche Vorgaben entwickeln zu können, führt die EU-Kommission derzeit eine Konsultation zum Geoblocking durch, bei der Unternehmen und Verbraucher berichten sollen, welche Hemmnisse es beim europaweiten E-Commerce gibt. Eine zweite Konsultation beschäftigt sich mit der wirtschaftlichen Rolle von Online-Plattformen.

Portabilität von Daten

Andrus Ansip, (c) European Union 2015
Andrus Ansip, Foto: European Union 2015

Für die Verbraucher kommt es derzeit v.a. durch das Urheberrecht zu Problemen. Viele Nutzer würden VPN nutzen, um damit Copyright-Grenzen zu umgehen, berichtete der EU-Kommissar. „Wir verlieren Geld, weil die Nutzer keine legale Chance haben, Content zu nutzen“, schilderte Ansip das Problem. Außerdem bestünden Hemmnisse, legal erworbene Inhalte wie Audiobooks, Musik und Filme in anderen Ländern zu nutzen. So eine Diskriminierung im E-Commerce dürfe es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben. In dem Gespräch mit dem Ausschuss Digitale Agenda kündigte er an, dass es noch in diesem Jahr eine Verordnung zur Portabilität von Daten geben werde. Am Prinzip der Territorialität werde zwar festgehalten, die Bürger müssten aber grenzüberschreitend Zugang zu erworbenen Inhalten erhalten.

In dem viel diskutierten Widerspruch zwischen Big Data und Privatheit sieht Andrus Ansip lediglich einen scheinbaren Gegensatz. „Big data flow is a big need for industrie“, betonte der EU-Kommissar. Wenig Verständnis zeigte er für Länder, die der Ansicht sind, dass „Daten nur in ihrem schönen Land“ sicher sind. „Digital economy is global economy“, gab der EU-Vize-Präsident zu bedenken.

Mehr Tempo beim Breitbandausbau

Was den Breitbandausbau in ländlichen Regionen angeht, so machte Ansip deutlich, dass es nicht darum gehe, Film- und Musikangebote für Leute, die im Wald leben wollten, zu organisieren. Vielmehr gehe es beispielsweise um Anwendungen in der Landwirtschaft, die zu einer erheblichen Produktivitätssteigerung führen könnten. Deutschland verfolge beim Breitbandausbau zwar einen „engagierten Plan“, könne aber noch mehr tun, appellierte der EU-Kommissar. „Wir müssen mehr Tempo machen, unsere ganze Kultur basiert auf dem Internet“, mahnte er.

Angesprochen auf mögliche Fehlentwicklungen des Marktes, die sich aus dem laut Kritikern eher schwammig formulierten Kompromiss zur Netzneutralität ergeben könnten, bekundete Ansip: „I’m happy to be able to find this compromise.“ Wenn wir nicht in der Lage wären, einen Kompromiss zu finden, was würde das bedeuten, ergänzte er fragend. In puncto europäisches Leistungsschutzrecht – möglicherweise nach deutschem Vorbild – ist es nach Ansicht des Esten „zu früh, um mit Bestimmtheit sagen zu können, wie es dort weitergeht“. Es würden noch gründliche Analysen benötigt, sagte er vor dem Ausschuss Digitale Agenda.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Nadine Brockmann ist als Analystin für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.

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