Bundestagswahl 2017: Die Sonntagsfrage ist auch ein Fall fürs Netz

Veröffentlicht am 10.03.2017

„Welche Partei würdest du wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahltag wäre?”, fragt der Meinungsforscher den Wahlberichtigten. Dieser antwortet: „Meinst du Sonntagvormittag oder -nachmittag?”

So lautet ein Witz unter Demoskopen und tatsächlich bringt die Unentschiedenheit und Impulsivität mancher Wähler nicht erst heute Meinungsforscher ins Schwitzen. Dennoch ist derzeit die Kritik an der Branche besonders laut. Die Volksabstimmung zum Brexit, die Wahl Trumps zum US-Präsidenten oder die vielen AFD-Wähler in manchen Landtagswahlen in Deutschland – viele Meinungsforschungsinstitute lagen mit ihren Stimmungsbildern falsch.
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Es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze für diese Entwicklung: dass Wähler insbesondere ihre rechtspopulistischen Neigungen bei Umfragen verschweigen, zum Beispiel. Oder auch, dass die Meinungsforscher Emotionen nicht abbilden. Hinzu kommen technische Probleme der Repräsentativität. Die Sonntagsfrage wird traditionell per Telefon gestellt. Das ist zeitaufwendig, wenig flexibel und teuer. Außerdem verfügt ein zunehmender Prozentsatz von Wahlberechtigten heute gar nicht mehr über einen Festnetzanschluss.

Repräsentative Umfragen im Netz

Gleichzeitig hat sich im Netz ein Trend zu Online-Umfragen entwickelt. 5,8 Millionen Deutsche nehmen jede Woche an Umfragen im Netz teil. Die meisten von ihnen sind allerdings nicht repräsentativ, weil sie beispielsweise durch Teilnahme-Aufrufe in bestimmten Zielgruppen manipuliert werden können. Deswegen geht das Berliner Unternehmen Civey einen anderen Weg und hat eine Software entwickelt, die Webseiten zu einem automatisierten repräsentativen Umfragenetzwerk zusammenschaltet. Die neue Methodik hat das Start-up, das vor zwei Jahren gegründet wurde, gemeinsam mit Wissenschaftlern der Hochschule Rhein-Waal erforscht und entwickelt es auch mit dessen Begleitung kontinuierlich weiter.

Um beispielsweise in der Sonntagsfrage auf einem Nachrichtenportal abzustimmen, muss sich der Nutzer registrieren und dort seine Daten angeben, u.a. das Alter und das Geschlecht. Civey gewichtet dann die Stimmen: Nehmen im Vergleich zur Bevölkerung Deutschlands zu viele junge Menschen an der Umfrage teil, zählt ihre Stimme weniger. Das Unternehmen scheint damit Erfolg zu haben: Nur einen Monat nach dem Launch des Berliner Start-ups lieferte es bei der Berlin-Wahl das zweitbeste Umfrageergebnis. Civey hat bereits 80.000 registrierte Nutzer. Deren Hauptmotivation: Sie erhalten in Echtzeit das Ergebnis der Umfrage, an der sie teilnehmen.

Meinung durch Big Data?

Allerdings haben auch Online-Umfragen eine begrenzte Reichweite, denn sie erreichen nur diejenigen, die sich auch im World Wide Web aufhalten. Deshalb setzen mittlerweile viele Meinungsforschungsinstitute auf eine Mischung von Telefon- und Online-Umfrage – der Trend der digitalen Befragung ist also schon bei den traditionellen Meinungsforschungsinstituten angekommen.

Manch Meinungsforscher wünscht sich gar den gläsernen Wähler wie in den USA:

„Big Data, das ist es, wo genauere Ergebnisse herkommen werden. Es geht darum, die Wahldaten eines Befragten mit seiner Internetnutzung, anderen Umfragedaten und demografischen Informationen zu verbinden. Das erzeugt ein wesentlich umfassenderes Bild dieser Person und ermöglicht genauere und kleinteiligere Vorhersagen“,

sagt Jo Twyman, Forschungschef für Europa bei Marktführer YouGov.

Unsere nicht repräsentative Prognose: Das ist erst der Anfang von kontroversen Debatten in puncto Online-Umfragen in der Meinungsforschung.

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