Digitale Überwachung: Wird es wieder zum Streitthema?

Foto: CC-By 2.0 Flickr User Dierk Schaefer. Bildname: I see you and what you are doing. Ausschnitt bearbeitet.
Veröffentlicht am 27.12.2017
Foto: CC-By 2.0 Flickr User Dierk Schaefer. Bildname: I see you and what you are doing. Ausschnitt bearbeitet.

Überwachung für die innere Sicherheit contra Persönlichkeitsrechte und Datenschutz: Wenige Wochen vor dem möglichen Beginn von Koalitionsverhandlungen von Union und SPD wird deutlich, dass dieses netzpolitische Streitthema der vergangenen Legislaturperiode auch in dieser wieder für Diskussionen sorgen wird – sowohl aus politischen wie auch aus rechtlichen Gründen. Bei mehreren Diskussionen im Berliner Regierungsviertel ging es auch um die grundsätzlichen Positionen der Parteien in der Digitalpolitik.

Dass der Streit um die Überwachung vor Parteigrenzen nicht Halt macht, zeigt ein Gastbeitrag des ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel im Spiegel.

„Auch wir haben uns kulturell als Sozialdemokraten und Progressive oft wohlgefühlt in postmodernen liberalen Debatten. […] Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze, Datenschutz war wichtiger als innere Sicherheit.“

Die Äußerungen des geschäftsführenden Außenministers sorgten bei Datenschützern für Kritik und Verwunderung, die vor allem auf Twitter zum Ausdruck kam. Für Verwunderung deshalb, weil die SPD in der Großen Koalition u.a. die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (VDS) sowie Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) mitgetragen hat. Bei der VDS hatte Gabriels Einsatz dafür gesorgt, dass Justizminister Heiko Maas (SPD) von der Ablehnung zur Befürwortung der VDS umschwenkte.

Interessant sind Gabriels Äußerungen auch mit Blick auf die Digitalpolitiker in der SPD. Der frühere netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, ist inzwischen zum Generalsekretär der Partei aufgestiegen – auch mit dem Auftrag, die SPD bei Digital-Themen zu modernisieren. Er ist auch Mitglied der zwölfköpfigen Sondierungskommission der SPD. Klingbeil hat, obwohl er zum eher konservativen Seeheimer Kreis in der SPD-Fraktion zählt, im Bundestag sowohl gegen die Vorratsdatenspeicherung wie auch gegen Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung gestimmt.

„Einfach mal die Klappe halten“

Auch seine Stellvertreterin als netzpolitische Sprecherin im 18. Bundestag, Saskia Esken, hat gegen die digitalen Überwachungsgesetze gestimmt. Esken kommentierte Gabriels Beitrag auf Twitter in weniger als 140 Zeichen:

„In der SPD sollten viele einfach auch mal die Klappe halten.“

Es dürfte also schwer werden, in der SPD Digitalpolitiker zu finden, die Gabriels Position offensiv unterstützen.

Wer außer Esken Klingbeils Rolle als Aushängeschild der SPD-Digitalpolitiker übernehmen könnte, ist noch nicht abzusehen. Der für den Bereich zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Sören Bartol, ist bereits wiedergewählt. Er war aber bisher außerhalb des Parlamentes kaum auf Veranstaltungen zum Thema Digitales präsent. Beim TÜV Nord-Dialog zum Thema „Digitale Transformation“ wurde die SPD vom Bildungs- und Verkehrspolitiker Arno Klare vertreten. Er stand auf der Bühne neben Thomas Jarzombek (CDU/CSU), Manuel Höferlin (FDP) und Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), die alle in der 17. Wahlperiode Mitglied in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ waren.

Digitalpolitiker in vielen Fragen einig

Bei der Diskussionsrunde wurde deutlich, dass die Digitalpolitiker der vier Parteien bei vielen Fragen nicht weit auseinanderliegen. Moderator Richard Gutjahr sprach davon, dass sie sich „in den Armen liegen.“ Allerdings nicht beim Thema Überwachung. Der stellvertretende grüne Fraktionsvorsitzende von Notz sagte:

„Snowden und was da offenbart wurde, wie hardcore-foul der Staat spielt, wenn es um IT-Sicherheit geht, das ist ein Innovationshemmnis biblischen Ausmaßes.“

Jarzombek kritisiert Gesundheitskarte und DE-Mail scharf

Eine Art Ausbrauch aus der harmonischen Stimmung wagte gegen Ende der Veranstaltung auch CDU-Politiker Jarzombek. Nachdem er zu Beginn des Abends noch die Politik der letzten Bundesregierung wegen ihrer Gesetze gelobt hatte, zum Beispiel das Open-Data-Gesetz und das Gesetz zum automatisierten Fahren, ging er dann mit mehreren staatlichen IT-Vorhaben ins Gericht:

„Viele dieser Großprojekte sind eine Vollkatastrophe. Kann mir einer im Raum erklären, wozu ich eine eigene Gesundheitskarte brauche? Ich begreife das nicht. Mit dem Personalausweis oder einem anderen ID-Dokument würde das gehen, wenn man die Daten in die Cloud legt.“

Als „total verrückt“ bezeichnete er, dass jede Arztpraxis einen Konnektor benötige, für den es nach jahrelanger Entwicklung noch keine Anwendungen gebe:

„Statt über Software-Standards zu reden, hat jetzt jeder so eine Hardware-Kiste“, so Jarzombek.

Sein Gesamturteil zu Projekten wie Gesundheitskarte oder De-Mail:

„Das haben wir verbockt. Völlig falsch angegangen.“

In Zukunft müsse man solche Projekte schlanker angehen und für die Leute einfach machen. Jarzombeks Prognose zum Bürgerkonto:

„Wenn wir jetzt ein Bürgerkonto einrichten, mit eigenem Zugang, wo sie ein Zertifikat installieren und ein komplexes Passwort vergeben müssen, dann wird es scheitern. Das wird funktionieren, wenn wir das Bürgerkonto beim Online-Banking einbauen. Ich weiß, das ist alles nicht safe. Macht aber nichts. Alles andere ist auch nicht safe, was sie auf ihrem Smartphone haben und da sind auch sensible Daten drauf. Vertrauen ist definitiv nicht das Problem. Die Lösungen, die wir bauen, werden nicht mehr bedienbar.“

Habeck fordert Digitalministerium

Während beim TÜV Nord in der Diskussion zwischen von Notz und FDP-Digitalpolitiker Höferlin keine größeren Konflikte auftauchten, grenzte sich Robert Habeck beim UdL Digital Talk am 15. Dezember deutlich von der FDP ab. Der Kandidat für den grünen Parteivorsitz und schleswig-holsteinische Umwelt- und Digitalminister sagte, er habe erst in den Sondierungsrunden verstanden, was Christian Lindner im Wahlkampf mit „Digitalisierung first, Bedenken second“ gemeint hatte, nämlich Digitalisierung, aber ohne Datenschutz. Habeck erklärte, die Verbraucher sollen aktiv entscheiden können, ob Dritte ihre Daten nutzen dürfen und zu welchem Zweck.  Um die Mitnahme von Daten zu anderen Anbietern zu ermöglichen, brauche es klare Regeln und Standards.

Habeck sprach sich für ein Digitalministerium aus. Er verglich die Herausforderung, eine Querschnittsaufgabe wie die Digitalisierung in die Kabinettsstruktur zu bringen mit der Umweltpolitik. „Umwelt ist ja auch irgendwie alles“, so Habeck. Dennoch sei es gelungen, die Umweltpolitik aus einem Ministerium heraus voranzubringen. Im Wahlprogramm und den Sondierungsgesprächen hatten die Grünen sich mit konkreten Aussagen zur Organisation der Digitalpolitik in der Regierung zurückgehalten.

Urteil zur Metadatenspeicherung des BND

Dass digitale Überwachung immer wieder an rechtliche Grenzen stößt, machte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes deutlich. Die Leipziger Richter gaben der Klage von Reporter ohne Grenzen teilweise statt. Der Verein, der vom Berliner Rechtsanwalt Professor Niko Härting vertreten wurde, hatte auf Unterlassung der Speicherung und Nutzung seiner Verbindungsdaten aus Telefonverkehren in der vom Bundesnachrichtendienst (BND) betriebenen Datei VERAS (für: Verkehrsdatenanalysesystem) geklagt. Der Grund für die Entscheidung: Es fehle eine gesetzliche Grundlage für die Datenspeicherung. Das Urteil gilt formell nur für Reporter ohne Grenzen, allerdings könnten auch andere entsprechende Klagen einreichen.

Test zur Gesichtserkennung in Berlin geht in zweite Runde

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat bei einem Besuch am Berliner Bahnhof Südkreuz angekündigt, dass der dortige Versuch zur Gesichtserkennung aus Bildern der Videoüberwachung über den 31. Januar hinaus um sechs Monate verlängert wird. Das Bundesinnenministerium erklärte in einer vorläufigen Bilanz des Tests, die Erkennungsrate liege bei mehr als 70 Prozent positiver Treffer. Dagegen habe es nur durchschnittlich weniger als ein Prozent „falsch positive“ Treffer gegeben, bei denen Personen irrtümlich einem Datensatz in der Datenbank zugeordnet wurden.

Heise Online weist daraufhin, dass dies bei 100.000 Umsteigern im Bahnhof zu etwa 1.000 Fehlalarmen pro Tag führen könnte. Datenschützer und Netzaktivisten verlinkten auf Twitter auf einen mathematischen Blogtext aus dem Mai 2017, in dem Christian Reinboth vorrechnet, dass Fahndungsmethoden selbst mit einer Fehlerquote von 0,5 Prozent bei einer anlasslosen Massenüberwachung zu einer riesigen Menge falscher Treffer führen würden, aber bei der gezielten Überwachung von Verdächtigen trotzdem hilfreich sein könnten.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Sascha Klettke ist Chef vom Dienst und Analyst für Netzpolitik.

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