Ein „Recht auf Vergessen“ – EU-Kommissarin stellt Pläne für neue Datenschutzverordnung vor

Veröffentlicht am 24.01.2012

EU-Justizkommissarin Viviane Reding kündigte während ihrer DLD-Keynote für morgen, den 25. Januar 2012, einen neuen Entwurf der EU-Datenschutzverordnung an. Zentrales Anliegen diese Initiative sei eine europaweit einheitliche Gesetzgebung. Zugleich sprach sich Reding gegen die Sperrung von Internet-Inhalten aus. Informationsfreiheit und Urheberrechtsschutz dürften keine Feinde, sondern müssten Partner sein, so Reding. Blocken dürfe dabei keine Option darstellen.

Das aktuelle Gesetz ist von 1995 und stelle ein unübersichtliches Patchwork von Datenschutz-Gesetzen und Zuständigkeiten dar. Im Grundsatz gehe es bei der Novellierung darum,  die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einem „single digital market“ zu machen, der die Daten auch schützt, wenn sie durch Cloud Computing auf Rechner außerhalb der Union ausgelagert werden.

Die Gesetzesinitiative verfolgt hauptsächlich zwei Ziele: Zum einen solle die wachsende Verunsicherung der Verbraucher aufgegriffen, zum anderen junge Internetgründer und die mittelständischen Wirtschaft entlastet werden.

„Recht auf Vergessen“

Dabei stehe der Schutz persönlicher Daten im Vordergrund, der Umgang damit soll so transparent wie möglich werden. Wichtigster Punkt wäre es, den Bürgern die Verfügungsgewalt über ihre Daten im Internet zurückgeben. Reding bezeichnete dies als das individuelle „Recht auf Vergessen“. Dahinter steht, jederzeit entscheiden zu können, einmal veröffentlichte private Informationen wie Fotos oder Kommentare auch wieder löschen beziehungsweise zurückziehen zu können.  Zugleich sollten die Nutzer mehr Informationen über die Verwendung, Weitergabe und Speicherdauer ihrer persönlichen Daten erhalten und von Unternehmen zukünftig schneller und umfassender über Datenverluste und -diebstähle informiert werden. Eine entsprechende gesetzliche Publikationspflicht gibt es bislang in Deutschland nicht.

Gelten soll das neue EU-Gesetz auch für Unternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland: Wer in Europa Geschäfte mache und europäische Kunden anspreche, für den müsse auch europäisches Recht gelten, so Reding.

Ausnahmen solle das Recht auf Vergessen lediglich dort haben, wo es im Konflikt zu Grundrechten oder Angelegenheiten der inneren Sicherheit stünde – beispielsweise im Hinblick auf die Meinungs- und Pressefreiheit, oder bei der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz.

Gesetzliche Sicherheit für Unternehmen

Die grundlegende Reform des europäischen Datenschutzrechts weise nicht nur für die Verbraucher Vorteile auf, sondern auch für Unternehmen: Diese würden künftig nur noch mit einer Datenschutzbehörde zusammenarbeiten müssen. Denn, so Reding: Nur auf Grundlage klarer, eindeutiger und vor allem einfach anwendbarer gesetzlicher Richtlinien gäbe es für  Internet-Unternehmen mit ihren Geschäftsmodellen und Produkten gesetzliche Sicherheit. Die  unterschiedlichen Rechtsprechungen auf diesem Gebiet würden diese in Europa jährlich 2,3 Milliarden € kosten. Die Neuregelung sei deshalb eine „goldene Chance„, die Unternehmen helfen werde, bei den Verbrauchern Vertrauen zu stiften.

Massive Schwächung der Digitalwirtschaft

Anders sieht das der Bundesverband Digitale Wirtschaft: Man sehe in der neuen Verordnung eine massive Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Digital-Wirtschaft müsse mit dem Inkrafttreten einer entsprechenden Verordnung ihre Geschäftsmodelle in der Werbung und im E-Commerce massiv ändern und befürchte einen Wettbewerbsnachteil gegenüber außereuropäischen Mitbewerbern.

Auch aus Verbrauchersicht ließen sich Nachteile erkennen: So vermindere  die Verordnung die Anreize zum Umsetzen datenschutzfreundlicher Geschäftsmodelle: Praktisch bei jedem Aufruf einer Webseite, auf der Werbung gezeigt wird, oder eines Online-Shops, müssten User ihre Einwilligung zur Datenerhebung geben.

Aigner: Grundrechte dürfen nicht eingeschränkt werden

Reaktionen auf Redings Entwurf gibt es auch von Seiten der deutschen Politik: Verbraucherschutzministerin Aigner sagte gegenüber dem Spiegel, dass sie Redings Plänen für ein europäisches Datenschutzrecht zwar grundsätzlich zustimme, das Recht auf freie Meinungsäußerung dadurch jedoch nicht ausgehebelt werden dürfe.

In wieweit sich die von Reding am Sonntag erstmals vorgestellten Pläne in der neuen Verordnung wiederfinden werden, bleibt abzuwarten. Wichtig wird der offizielle Entwurf der EU-Kommission sein, der von Europäischem Rat und Europaparlament beraten und verabschiedet werden muss. Zu erwarten ist, dass etwa Deutschland und Frankreich den jetzigen Vorschlägen aufgrund der Eingriffe ins nationale Datenschutzrecht in ihrer jetzigen Form nicht zustimmen werden.

Aus dem gleichen Grund ist schon die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bis heute in Deutschland nicht umgesetzt worden: Diese verpflichtet die 27 Mitgliedsländer dazu, anlasslos Telefon- und Internet-Daten für mindestens sechs Monate zu speichern. Die schwarz-gelbe Koalition diskutiert seither um die Speicherpraxis, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2010 die damalige deutsche Praxis beanstandet und den Gesetzgeber zu einer Überarbeitung aufgefordert hatte.

Der Gesetzgebungsprozess wird bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen, der Entwurf sich möglicherweise in den wieteren Beratungen noch entscheidend ändern. Die neue Gesetzgebung soll bis spätestens 2015 in Kraft treten.

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