Es gibt Änderungsvorschläge: Ein Jahr Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Veröffentlicht am 28.11.2018

Die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen stand dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) schon bei seiner Verabschiedung 2017 äußerst kritisch gegenüber. Im September 2018 führte sie, knapp ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, ein Expertengespräch durch, um eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Aus Sicht der Fraktion hat das NetzDG – auch aufgrund der kurzen Beratungszeit im Parlament – „grobe handwerkliche Fehler“. Diese wollen die Grünen mit ihrem Antrag „Netzwerkdurchsetzungsgesetz weiterentwickeln – Nutzerrechte stärken, Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken sicherstellen“ beheben, der beim Bundestag eingegangen ist, aber bisher noch nicht beraten wurde.

Aber nicht nur in Deutschland, auch auf europäischer Ebene wird die Anwendung des NetzDG aufmerksam verfolgt. Die zentrale Fragestellung dabei ist, ob das Gesetz als Muster für andere Mitgliedstaaten taugt. Vor diesem Hintergrund haben das „Center for European Policy Studies“ (CEPS) und das „Counter Extremism Project“ ebenfalls Bilanz nach einem Jahr NetzDG gezogen. Ihr Bericht „Germany’s NetzDG: A key test for combatting online hate“ wird am 29. November im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz offiziell in Deutschland vorgestellt.

CEPS-Bericht zum NetzDG

Foto: CC0 1.0, Pixabay User geralt | Ausschnitt bearbeitet
Aus Sicht der Brüsseler Think Tanks hat das Gesetz bisher weder die Ansprüche seiner Macher erfüllt, das Netz von Hassrede und Extremismus zu befreien, noch habe sich die alarmierende Angst der NetzDG-Gegner vor Overblocking bewahrheitet. Trotzdem gebe es einiges zu kritisieren: Zum einen, dass die Bundesregierung die Evaluierung des Gesetzes auf die lange Bank schiebe. Die Regierung plane erst in drei Jahren, also am Ende der Legislaturperiode, eine Bewertung des Gesetzes, dies sei mit Blick auf die Schnelllebigkeit der Kommunikation „viel zu spät“, schreiben die Brüsseler-Experten.

Zum anderen wird inhaltliche Kritik geübt. So kommen die Autoren des CEPS-Berichts zu dem Schluss, dass die Netzwerke Facebook, Google, Twitter und change.org die Vorgaben des NetzDG sehr unterschiedlich umsetzen. Das zeigten die ersten Transparenzberichte. Da die Ausgestaltung der Berichte aber sehr unterschiedlich ausfalle, sei eine vergleichende Auswertung jedoch kaum möglich. Aus Sicht der Autoren soll deshalb die Freiwillige Selbstkontrolle Multimediadienste-Anbieter (FSM) verbindliche Vorgaben für das Reporting machen – allein schon um für die anstehende Evaluierung eine vergleichbare Datenbasis herzustellen.

Darüber hinaus schlagen die Autoren – wie die EU-Kommission – vor, terroristische Inhalte auf Plattformen strengeren Auflagen zu entwerfen. Ein Verordnungsentwurf der Kommission aus dem September sieht strikte Löschregeln für solche Inhalte und den Einsatz von automatischen Filtern vor. Das NetzDG unterscheidet hingegen nicht zwischen verschiedenen Arten illegaler Inhalte und sieht auch keine automatischen Blockierungen von Re-Uploads vor – in dieser Hinsicht geht das deutsche Gesetz den Autoren also nicht weit genug. Der Bericht greift auch bereits im Gesetzgebungsverfahren zum NetzDG angebrachte Kritikpunkte auf: So plädiert das CEPS für die Einrichtung einer Beschwerdestelle („clearing house“), an die sich Nutzer wenden können, deren Posts fälschlicherweise nach dem NetzDG gelöscht wurden. Zudem müssten die Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden aufgestockt werden, damit Online-Aggressoren mit wirklichen Konsequenzen zu rechnen hätten. Lobend hebt der Bericht hervor, dass das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein eine Zentrale Ansprechstelle für Cybercrime (ZAC) habe – andere Bundesländer sollten aus ihrer Sicht nachziehen und ebenfalls eine solche Stelle einrichten.

Antrag der Grünen zum NetzDG

Die von den Grünen erstellte Mängelliste deckt sich in vielen Punkten mit der des CEPS und des Counter Extremism Projects. In ihrem Antrag betonen die Grünen die Notwendigkeit einer „wirksamen Gesamtstrategie“ gegen die Verrohung des Diskurses sowie die Einschränkung engagierter Menschen im Netz und fordern von der Bundesregierung konkrete Änderungen am Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Unter anderem drängen sie darauf, die Berichtspflichten der Social Media-Betreiber zu überarbeiten. Die Transparenzberichte der Unternehmen müssten standardisiert und vergleichbar werden. Inhaltlich sollen die Berichte sowohl „valide Aussagen über die Betroffenen“ als auch ein „umfassendes, anonymisiertes Monitoring der Beschwerden sowie der Opfer“, mit Angaben zu Alter, Geschlecht und Herkunft, enthalten. Darüber hinaus wollen die Grünen die Betreiber dazu verpflichten, transparent zu machen, wie viele Social Bots und Fake-Profile in ihren Netzwerken aktiv sind und welche Schritte gegen diese unternommen werden.

Ein weiterer Punkt, den der Antrag adressiert, ist der Umgang der Betreiber mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte. Gefordert werden einheitliche Standards für die Meldewege, die dafür sorgen, dass Beschwerdeverfahren für die Nutzer auffindbar und verständlich sind. Gleichzeitig wird auf die Einführung eines Verfahrens gedrungen, das die Möglichkeit schafft, unrechtmäßig gelöschte Inhalte „unverzüglich“ wiedereinzustellen („put-back-Verfahren“). Zudem sollen die Betreiber, wie auch vom CEPS gefordert, eine Clearingstelle einrichten, an die Beschwerden über Löschungen gerichtet werden können.

Im Zuge dessen fordern die Grünen auch eine Änderung der Bestimmungen des Telemediengesetzes (TMG). Das darin verankerte Melde-und Abhilfeverfahren („Notice and take down“) müsse konkretisiert und strukturiert werden, „damit eine sorgfältige Prüfung unter Einbeziehung der Beteiligten erfolgt, bei der die Rechte beider Seiten“ und damit auch die Balance zwischen Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit gewahrt bleibt.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Martin Müller ist Analyst für Digitalpolitik.

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