Europa Digital: Interview mit Katarina Barley

Foto: Susie Knoll
Pressefoto: SPD/Susie Knoll
Veröffentlicht am 07.05.2019

Die SPD-Politikerin Katarina Barley ist nicht nur Mitglied im Heimat- und Verkehrsverein sowie in zwei Karnevalsvereinen, sondern auch Spitzenkandidatin ihrer Partei für die diesjährige Europawahl. Mit deutsch-britischen Wurzeln ist die gebürtige Kölnerin eine waschechte Europäerin. Unter dem SPD-Wahlkampfslogan „Europa ist die Antwort!“ zieht Barley gemeinsam mit Parteikollege Udo Bullmann in den Europawahlkampf und wirbt mit proeuropäischen Botschaften für einen starken Zusammenhalt Europas.

Die Juristin legte in ihrer Partei einen steilen Aufstieg hin: Erst 2013 wurde Barley in den Bundestag gewählt und schließlich Anfang 2015 zur Generalsekretärin der Partei ernannt.  Knappe zwei Jahre später stieg Barley inmitten der laufenden Legislaturperiode auf den Posten der Bundesfamilienministerin und wurde damit Nachfolgerin von Amtsinhaberin Manuela Schwesig. Während der Regierungsbildung war sie geschäftsführende Bundesarbeitsministerin. Seit 2018 ist Barley in der großen Koalition Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz und seit Dezember 2018 Spitzenkandidatin der SPD zur Europawahl.

Wir haben Katarina Barley fünf Fragen zur europäischen Digitalpolitik und zur Reform der Europäischen Union gestellt:

Die EU hat sich auf den Weg zu einem Digitalen Binnenmarkt gemacht, was sind aus ihrer Sicht die nächsten großen Schritte in dieser Entwicklung?

Foto: Susie Knoll

Die EU hat weltweit die höchsten Standards für Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechte. Sie ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und hat als Innovationsstandort enormes wirtschaftliches Potenzial. Damit der europäische Binnenmarkt funktioniert, muss der Ausgleich der Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern und den global agierenden Anbietern digitaler Dienste sichergestellt werden. Wir brauchen einen gemeinsamen Ansatz zu digitalen Grundrechten und eine starke europäische Digitalpolitik. Diese muss Meinungs- und Medienvielfalt, Netzneutralität und kommunikative Grundrechte schützen, sowie europaweit einen verbindlichen Rechtsrahmen für ein hohes Daten- und Verbraucherschutzniveau und faire Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt sicherstellen. Für eine starke europäische Digitalpolitik fordern wir eine konsequente Umsetzung der Datenschutz- Grundverordnung, insbesondere die effektive Sicherstellung der Aufsichts-, Kontroll- und Beratungsaufgaben der Datenschutzbehörden. Klar ist für uns auch: Steuern müssen dort gezahlt werden, wo das Geld verdient wird! Für Google, Amazon und Co. müssen steuerlich die gleichen Regeln gelten wie für den kleinen Laden von nebenan. Wir wollen eine globale Mindestbesteuerung, weltweit bis zum Jahr 2020. Und wenn das nicht klappt, weil andere auf die Bremse treten, dann regeln wir das gemeinsam mit Frankreich in Europa.

Was kann die EU tun, um europäische Unternehmen zu unterstützen, sich bei Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz und dem Autonomen Fahren im Innovationswettbewerb mit Asien und Nordamerika zu behaupten?

Wir wollen, dass die Chancen der neuen Technologien zum Wohle aller genutzt werden. Es geht um nichts Geringeres als die Weiterentwicklung unserer Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität im Europa des 21. Jahrhundert. Es geht um Fortschritt, Wohlstand und eine lebenswerte Gesellschaft. Entwicklungen, bei denen der Mensch weiterhin im Mittelpunkt stehen muss. Wir müssen für eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz und die systematische Förderung von Anwendungen, die den Menschen im Arbeitsprozess aufwerten, sorgen. Um für Nutzerinnen und Nutzer aus der Industrie und kleinen und mittelständischen Unternehmen Forschungsdaten und die geeignete Dateninfrastruktur nutzbar machen zu können, sollte eine Europäische Cloud für die offene Wissenschaft zur Verfügung gestellt und schrittweise geöffnet werden. Natürlich brauchen wir dann auch klare Regeln für die digitale Gesellschaft. Datenschutz und Datenethik müssen zu Standortvorteilen Europas bei der Entwicklung und Anwendung von Technologie zählen.

Die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Arbeitswelt der Zukunft ist eine zentrale Herausforderung: Welche Rolle kann und sollte die EU dabei spielen?

Digitale Arbeit beinhaltet weit mehr als die reine Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Durch die Digitalisierung der Arbeit verändern sich auch Arbeitsinhalte und Qualifikationsanforderungen, die Arbeitsbedingungen und -beziehungen, die Sicherheit der Beschäftigung und den Zugang zu Arbeit. Für den europäischen Arbeitsmarkt fordern wir deshalb einen stärkeren Beschäftigtenschutz, der dem Trend zum gläsernen und jederzeit abrufbaren Angestellten einen Riegel vorschiebt. Arbeitszeit darf uns in Zeiten digitaler Vernetzung und ständiger Erreichbarkeit nicht entgleisen und braucht klare Regeln. Jeder und Jedem muss das Recht auf Nichterreichbarkeit und das Recht auf Freizeit zustehen. Um faire Lohn- und Arbeitsbedingungen in der digitalen Arbeitswelt sicherzustellen, wollen wir eine EU-Richtlinie zum Schutz von Beschäftigten auf Online-Plattformen. Wir dulden keine schwarzen Schafe im Europäischen Binnenmarkt, die für den Profit Mindeststandards unterlaufen, die andere einhalten.

Entscheidende soziale Fragen müssen wir europäisch angehen. Wir wollen ein soziales Europa mit fairen Löhnen in allen Arbeitsbereichen. Jeder Mensch muss von seiner Arbeit leben können, egal wo. Mit einem europäischen Mindestlohn, der sich an der Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes orientiert, verdienen viele Menschen mehr – auch in Deutschland. Wenn 60 Prozent des mittleren Einkommens des jeweiligen Land als Untergrenze verankert werden, dann würden wir in Deutschland einen Mindestlohn von 12 Euro bekommen. Das schützt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in allen Ländern vor Dumpinglöhnen.

Welche digitalpolitischen Prioritäten sollten das neugewählte Parlament und die nächste Kommission in den nächsten Jahren setzen?

Wir wollen gleiche arbeits- und sozialrechtliche Regeln für alle – egal ob online oder offline! Damit Europa ein Innovationsstandort bleibt, muss der Prozess der Digitalisierung entsprechend begleitet werden – vor allem durch die Förderung von Investitionen in ländlichen Regionen und einen Schwerpunkt auf digitaler Bildung. Für den Innovationsstandort Europa fordern wir deshalb den Zugang zu schnellem Internet für alle Bürgerinnen und Bürger, gerade auch in ländlichen Regionen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen brauchen Unterstützung, um Schritt halten zu können. Ein wichtiges Stichwort ist hier „Industrie 4.0“ – also die voll vernetzte industrielle Produktion, mit der unter anderem ressourcensparender produziert werden kann. Digitale Bildung und Medienkompetenz sind zentral, um uns optimal auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters vorzubereiten. Dazu brauchen wir europäische Mindeststandards die sicherstellen, dass jeder und jede Einzelne unabhängig vom Alter dazu befähigt wird, sich neue Medien individuell anzueignen. Medienkompetenzbildung muss aber viel mehr sein als die bloße Vermittlung von Technik: Und wir wollen lebenslanges Lernen stärker fördern, damit niemand in der digitalen Arbeitswelt abgehängt wird. Jeder und jede muss in die Lage versetzt werden, in der digitalen Welt zwischen wahr und falsch unterscheiden zu können und selbstbestimmt und kritisch Informationen zu bewerten und einzuordnen.

Eine abschließende Frage zur „State of the Union“: Die europäische Einigung hat an Schwung verloren und an Gegnern gewonnen. Welche Reformen sind notwendig, um die Europäische Union mit neuem Leben zu füllen und die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen?

Europa braucht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Sie müssen besser an europäischen Debatten und Prozessen teilhaben und sie besser nachvollziehen können. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass Europa an vielen Stellen zu deutlich schnelleren und effizienteren Entscheidungen kommt. Das Prinzip der Einstimmigkeit lähmt oftmals die Handlungsfähigkeit Europas, deshalb sollte das Mehrheitsprinzip bei Entscheidungen im EU-Ministerrat gestärkt werden. Ich möchte, dass die europäischen Volksvertreterinnen und Volksvertreter selbst Initiativen für Gesetzesvorhaben starten können. Wichtig ist mir auch mehr Transparenz durch ein verbindliches Lobbyregister für alle EU-Institutionen. Europa ist für die Bürgerinnen und Bürger oft zu wenig greifbar. Selbst Dinge, die für alle zum Vorteil sind, wie die Abschaffung der Roaming-Gebühren oder die Entschädigungspflicht bei Flugverspätungen, werden nicht als Erfolge der EU wahrgenommen. Das muss sich ändern. Es geht zum einen um bessere Informationen der Menschen über „ihr“ Europa, aber auch um einen regelmäßigen Dialog und um echte Beteiligung über europäische Netzwerke. Mit der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) können Bürgerinnen und Bürger die Europäische Kommission auffordern, eine Gesetzesinitiative zu ergreifen. Und wir wollen mehr junge Menschen an Wahlen beteiligen, sie sollen über ihre Zukunft mitentscheiden. Dafür wollen wir die Altersgrenze auf 16 Jahre senken. Auch das gehört für mich zu einem demokratischen Europa der Bürgerinnen und Bürger. Ich selbst suche den Kontakt zu den Menschen, um einen echten und ehrlichen Dialog zu führen, das ist mir sehr wichtig. Wenn wir uns mehr zuhören und miteinander reden, finden wir als Gesellschaft auch wieder stärker zusammen.

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