Gero Hesse: „In Deutschland gibt es einen Arbeitnehmermarkt“

Veröffentlicht am 18.03.2013

Am kommenden Donnerstag diskutiert Gero Hesse, Saatkorn.-Blogger und Gründer von Careerloft, mit Sahra Wagenknecht beim nächsten UdL Digital Talk zum Thema „Digitales Arbeiten – zwischen Selbstverwirklichung und Ausbeutung“. Vorab hat er uns einige Fragen zu der Entwicklung bedingt durch die Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt  beantwortet.

UdL Digital: Wie hat sich Arbeit in den letzten Jahren durch Smartphones, Tablet PCs aber auch soziale Netzwerke wie facebook oder twitter verändert?

Gero Hesse: Das kann man meiner Meinung nach nur schlecht pauschalisieren. Für Arbeiter im gewerblichen Bereich haben sich durch die neuen Technologien noch keine gravierenden Änderungen ergeben. In vielen anderen Bereichen aber geht mit den neuen Technologien und Devices eine deutlich erhöhte Flexibilität einher. Arbeit entkoppelt sich in diesem Kontext von Raum und Zeit, was auf den ersten Blick natürlich klasse ist, führt es doch zu mehr individuellem Gestaltungsspielraum. Allerdings liegen in dieser Entwicklung auch Gefahren: ständige Erreichbarkeit verlangt eben nach mehr Eigenverantwortung und Selbstdisziplin.

Gero Hesse
Gero Hesse, Foto: Careerloft

Eigenverantwortung ist gefragt

UdL Digital: Werden Arbeitnehmer durch die neuen Voraussetzungen freier, weil sie zunehmend ortsunabhängig arbeiten können? Oder werden sie gebundener, da sie per Mail und Social Networks auch nach dem offiziellen Arbeitsende erreichbar sind?

Gero Hesse: Gute Frage – beides stimmt. Zentral ist, wie ich als Individuum eigenverantwortlich damit umgehe. Für Führungskräfte liegt hier eine besondere Verantwortung, denn abhängig davon, wie ich selbst damit umgehe, hat das Abstrahlungseffekte auf meine Mitarbeiter. Letzten Endes halte ich die Entwicklungen dann für sehr positiv, wenn damit bewusst umgegangen wird – möglicherweise durch das Aufstellen einfacher Regeln im Team.

UdL Digital: Wie verändern sich die Ansprüche der Unternehmen? Erwarten sie von Bewerbern auch eine starke Positionierung im Social Web im Sinne eines Personal Brandings?

Gero Hesse: Das kann ich generell nicht bestätigen. Ausnahmen sind Jobs im Kontext Marketing und Kommunikation, hier spielen Kenntnis von Social Media und Personal Branding eine zunehmende Rolle. Für Unternehmen ist das Thema „Personal Branding“ sicher auch von zwei Seiten her zu betrachten: es kann natürlich sehr gewinnbringend sein, einen bekannten Social Media Kommunikationsprofi in den eigenen Reihen zu haben, im Falle eines Wechsels dieser Person kann sich die Bekanntheit unter Umständen aber auch kontraproduktiv auswirken.

Unternehmen können von Social Media profitieren

UdL Digital: Und was können Arbeitnehmer von Arbeitgebern erwarten? Immer wieder hört man zum Beispiel davon, dass der Zugriff auf Social Networks reglementiert ist. Ist das noch zeitgemäß?

Gero Hesse: Das halte ich persönlich weder für zeitgemäß noch für realistisch. Selbst wenn bestimmte Websites in der Firma geblockt sind, findet doch immer mehr Traffic mobile statt. Und das zu kontrollieren ist nahezu unmöglich. Wer kann verhindern, dass Mitarbeiter über ihr persönliches Gerät Facebook nutzen oder tweeten? Ich denke, dass Arbeitnehmer zunehmend von Unternehmen erwarten, dass die modernen Technologien auch genutzt werden – letzten Endes können Unternehmen bei der richtigen Unternehmenskultur von Social Media auch massiv profitieren, wenn man die Mitarbeiter als Multiplikatoren hinter sich stehen hat. Das ist aber vor allem eine Frage der Kultur, Stichwort „Enterprise 2.0“.

UdL Digital: Mit Deinem Unternehmen careerloft wirbst Du dafür, dass sich bei Euch Arbeitgeber und -nehmer auf Augenhöhe begegnen. Ist das realistisch? Und: Wie wirkt sich diese Augenhöhe in einem später folgenden Anstellungsverhältnis aus? Sind Arbeitnehmer heute mit mehr Rechten versehen als früher?

Gero Hesse: „Dialog auf Augenhöhe“ – das ist teils schon realistisch, teils wird es das noch werden. Wir sind in Deutschland in der interessanten Situation, dass für gut qualifizierte Menschen in der Regel ein Arbeitnehmermarkt und nicht mehr ein Arbeitgebermarkt besteht. Dies führt dazu, dass sich Top Studenten und Absolventen – weibliche Form bitte stets mitdenken – oft aus mehreren Angeboten das für sie passende aussuchen können. careerloft ist auf Basis dieser Entwicklung konzipiert worden, beispielsweise entwickelt unsere Zielgruppe aus der Generation Y das Angebot von careerloft selbst mit – egal, ob es sich um den Content auf der Website, um unsere Events oder um die Benefits im careerloft Förderprogramm handelt. Dies wird einerseits durch unseren Studentenbeirat und andererseits durch die careerloft Bewohner in unserem Loft in Berlin Kreuzberg sichergestellt. Die beiden Bewohner kommen aus unserem Förderprogramm und machen vier bis sechs Monate ein bezahltes Praktikum, wohnen frei und bekommen direkten Kontakt auf Augenhöhe zu den careerloft-Mitgliedsunternehmen. Ein weiterer Aspekt ist auch die Umdrehung des Bewerbungsprozesses: bei careerloft bewerben sich die Unternehmen bei den Kandidaten im Förderprogramm.

Im später folgenden Anstellungsverhältnis sollte das Thema „Augenhöhe“ natürlich weiter eine Rolle spielen. In einem Markt, der weniger von den Unternehmen, sondern mindestens gleichwertig von den Angestellten bestimmt wird, sollte das selbstverständlich sein. Auch in diesem Kontext sehe ich die technologischen Entwicklungen eher positiv: durch Social Media und das Internet ist ja eine ganz andere Transparenz entstanden. Über Arbeitgeberbewertungsplattformen und über mein Social Media-Netzwerk kann ich als Bewerber ja sehr schnell herausfinden, ob sich die Botschaften im Personalmarketing eines mich interessierenden Unternehmens authentisch in der Realität wieder finden.

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