Interview: Den Gender Gap im Netz überbrücken

Foto: betterplace.org
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Veröffentlicht am 23.05.2017

Die Digitalisierung der Welt schreitet voran, und immer mehr Menschen können dank günstiger Mobiltelefone und Ausweitung des Internetzugangs das Web nutzen. Gleichzeitig ziehen sich immer noch tiefe Gräben zwischen Arm und Reich – und auch zwischen Frauen und Männern im Netz. Die Studie „Bridging the Digital Gender Gap“ von dem Berliner Think-And-Do-Tank betterplace lab befasst sich genau damit. Durch sechs unterschiedliche Länder auf vier Kontinenten führt die Analyse und untersucht, worin konkret sich die Ungleichheit der Geschlechter im Netz zeigt, was dagegen getan wird und getan werden kann.

Im Interview mit UdL Digital gibt Franziska Kreische, Co-Verantwortliche und Mitverfasserin der Studie, Einblicke hinter die Kulissen, teilt ihre Eindrücke der Netzcommunity in Südafrika und erklärt, was Deutschland für die Überwindung des digitalen Gender Gaps tun kann.

Frau Kreische, für alle Leser, die mit dem Thema noch nicht vertraut sind: Was genau ist ein „Digital Gender Gap“?

Zwischen Frauen und Männern gibt es leider noch immer große Unterschiede, was die Voraussetzungen für den Zugang und die Möglichkeiten zur Nutzung digitaler Technologien (ICT) betreffen: Weltweit sind zwölf Prozent weniger Frauen als Männer vernetzt, in Entwicklungsländern im Schnitt sogar 31 Prozent, in Afrika 23 Prozent. Zusätzlich entsprechen digitale Inhalte und Angebote oft nicht den Bedarfen von Frauen, und Mädchen haben schlechtere Zugangschancen zu digitaler Bildung.

Der „Digital Gender Gap“ bezieht sich also nicht nur auf die Frage nach dem Zugang zu digitalen Technologien, sondern auch auf die Frage der Nutzung: Es braucht digitale Kenntnisse des Einzelnen sowie online entsprechende Inhalte, um das Potential von ICT voll ausnutzen zu können. Informationen gelten schließlich als einer der wichtigsten Treiber ökonomischer und sozialer Entwicklung und ICT damit als Türöffner zu diesen Informationen in einer bisher nie gekannten Weise. Auch deshalb spielen sie eine zentrale Rolle im Erreichen der Sustainable Development Goals.

Der „Digital Gender Gap“ verhindert also, dass Frauen vom Potential der Digitalisierung ebenso profitieren können wie Männer, und verstärkt dabei bereits existierende genderspezifische soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten.

Von Brasilien über Äthiopien bis Indonesien, von Deutschland via Indien nach Südafrika führt die Studie zu „Bridging the Digital Sender Gap”. Was sind Ähnlichkeiten dieser sehr unterschiedlichen Länder in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit in puncto IT und Tech? Was sind grundlegende Maßnahmen um die Gender-Kluft zu schließen?

Die besuchten Länder variieren angesichts ihrer sozialökonomischen Entwicklung, dem Grad ihrer Digitalisierung und auch der Geschlechtergerechtigkeit erheblich. Davon hängt entsprechend ab, ob und wie Frauen von der Digitalisierung profitieren. Neben diesen makro-ökonomischen Rahmenbedingungen spielen allerdings weitere Indikatoren eine wichtige Rolle und dahingehend ähneln sich die Länder wiederum: Dabei geht es um die Unterschiede zwischen ländlichem und urbanem Raum, Alterskohorten, Einkommens-und Besitzverhältnissen, die den Zugang und Umgang mit dem Internet prägen. So sind es letztendlich doch oft die gleichen Herausforderungen und Barrieren, die Frauen länderübergreifend überwinden müssen. Und an denen Politik und Zivilgesellschaft ansetzen können: physische Barrieren, wie die Kosten für Kommunikation und Datenvolumen – Frauen tragen oft wenig zum Familieneinkommen bei und die Kosten für Kommunikation bleiben unerschwinglich; schlechte Bildungsangebote in den Schulen, die digitale Kompetenzen vermitteln könnten; kaum genderspezifische Daten zur Nutzung und Verhalten mit digitalen Technologien; ausbaufähige Gesetzeslage zum Schutz vor Mobbing und Gewalt im Netz.

Wir haben uns in unserer Studie zudem mit der wirksameren Gestaltung gender-inklusiver Programme in der digitalen Entwicklung beschäftigt: Welche Voraussetzungen müssen dabei erfüllt sein? Welche inhaltliche Ausrichtung verspricht Erfolg? Welche Rolle spielen Politik und Wissenschaft? Dabei fordern wir u.a. mehr Verständnis für die soziokulturellen Kontexte, in denen Frauen leben, die Bereitstellung von relevantem Inhalt, jenseits von „pink“, die Bereitstellung geschützter Räume zum Lernen und Surfen sowie die bessere Sichtbarkeit von weiblichen Vorbildern, vornehmlich im Tech-Sektor.

Sie selbst waren für die Studie vor Ort in Südafrika. Was haben Sie in Sachen Tech für Frauen dort erlebt, das es auch in Deutschland geben sollte? Was hat Sie besonders beeindruckt?

Foto: betterplace.org

Südafrika ist ein spannendes, und zugleich extrem widersprüchliches Land: Einer jungen, gut ausgebildeten, hippen Tech-Szene in beispielsweise Downtown Kapstadt oder in Braamfontein in Johannesburg steht eine in großer Mehrheit extrem arme, schlecht ausgebildete und perspektivlose Bevölkerung gegenüber, die das Handy vor allem als Kommunikationsmittel verstehen, denn als Türöffner zu einem großen Informationsschatz. Vor allem junge Frauen, vornehmlich schwarze, sind besonders betroffen von Arbeitslosigkeit, dem Risiko, sich mit HIV zu infizieren, Armut.

Wichtig und ebenso beeindruckend für mich sind daher Programme und Produkte, die genau an dieser Stelle ansetzen, und Frauen wirkliche Lösungen anbieten, zurechtgeschnitten auf ihre Bedürfnisse. Die App MamaConnect beispielsweise, die schwangeren Frauen regelmäßig Info-SMS schickt, sie über ihr Stadium der Schwangerschaft aufklärt, und sie an Arzt-Termine erinnert. Entwickelt von einer Stiftung liegt das Programm nun in den Händen des Gesundheitsministeriums, was dazu beigetragen hat, dass die App skalierte und heute landesweit, auch in entlegenen, ländlichen Regionen genutzt wird.

Oder Choma, ein Online-Magazin und Spiel für junge Mädchen, um sich offen und in geschützten, moderierten Chats über alle Fragen des Mädchen-Seins auszutauschen und sie nebenbei über die Risiken ungeschützten Geschlechtsverkehrs aufzuklären sowie ihr Recht, zum Sex auch nein sagen zu können.

Beide Programme haben mich beeindruckt, da in ihre Entwicklung viel Zeit investiert wurde und die Zielgruppe und ihre Probleme im Mittelpunkt standen – Technologie als Mittel zum Zweck und nicht als Ziel eingesetzt wurde.

In der Studie schreiben Sie, dass es auch in Deutschland einen digitalen Gender Gap gibt. Wie sieht der hierzulande aus?

In Deutschland stellt der Zugang zum Internet für Frauen weitestgehend kein Problem mehr dar. Im Ausbau der technischen Infrastruktur sind wir in den vergangenen Jahren einen guten Schritt vorangekommen, auch wenn wir im High-Speed-Bereich im internationalen Vergleich mit anderen technologisierten Ländern nur im Mittelfeld liegen.

Quelle: betterlab Deutschland

In Deutschland dreht sich die Problematik vielmehr um die Frage digitaler Kompetenz: Hier belegen wir im internationalen Vergleich nur einen mittleren Platz. Frauen haben laut dem Digitalindex der Initiative D21 ein geringeres Grundverständnis von digitalen Fachbegriffen und weniger Sachverstand im Umgang mit Anwendungen.

Auch an der Entwicklung von IKT (Informations-und Kommunikationstechnologien) sind Frauen wenig beteiligt. Nur 15 Prozent aller Beschäftigten im MINT-Bereich sind weiblich. Zudem fehlt ihnen die notwendige Sichtbarkeit, sodass sie andere Frauen oder Mädchen ein Vorbild sein könnten, eine ähnliche Karriere zu verfolgen.

Was kann in Deutschland getan werden um die „digitale Lücke“ zwischen Männern und Frauen zu schließen?

Einige der unter der zweiten Antwort aufgeführten Maßnahmen treffen auch auf Deutschland zu: Die Vermittlung von IT-Skills sind bisher noch nicht verpflichtend im Schul-Curriculum aufgenommen. Es fehlt an einer ausreichenden Tech-Infrastruktur in den Schulen sowie Lehrerinnen, die besonders den Mädchen ein Vorbild sein könnten.

Von letzteren wird zumeist erwartet, sich nicht für Technologie zu interessieren, schon im Kindesalter stecken wir immer noch in stereotypischen Geschlechterrollen fest, denen zufolge Mädchen lieber mit Puppen in pinken Kleidern spielen. Auch in unserer aufgeklärten, emanzipierten Gesellschaft werden diese Rollenklischees weiterhin reproduziert.

Und so überrascht es nicht, dass Frauen kaum MINT-Studiengänge absolvieren, oder wenn, sehr früh abbrechen. Hier braucht es unbedingt mehr Sichtbarkeit für diejenigen, die sich durchkämpfen und in einem durch und durch männerdominierten Berufsfeld beginnen, die Strukturen von innen heraus aufzubrechen. Für mich hängt die Vorbildfrage zudem oft mit einer Mentorinnen-Rolle zusammen: Frauen und Mädchen mangelt es häufig auch am Selbstvertrauen, im Tech-Bereich Fuß zu fassen. Unterstützung durch andere Frauen, ihr Rat und ihr Netzwerk können ein wichtiger Schlüssel sein, diese Türen aufzustoßen.

Apropos Netzwerk: Es gibt in Deutschland bereits einige von ihnen, in denen sich Frauen austauschen können und Erfahrungen teilen, wie die Digital Media Women, Women in Digital oder Fintech Ladies.

Können Sie uns zum Schluss noch etwas über betterplace lab erzählen? Wie können wir uns die Arbeit im ‘Labor für eine bessere Welt’ vorstellen?

Wir im betterplace lab sind davon überzeugt, dass die Digitalisierung die Welt verändern kann. Dafür forschen wir an der Schnittstelle zwischen Technologie und Gemeinwohl, verbreiten unser Wissen, inspirieren durch Geschichten und setzen uns dafür ein, dass die Digitalisierung positiv genutzt wird.

Neben Desk-Research gehen wir regelmäßig auf Forschungsreisen, vornehmlich in Schwellen-und Entwicklungsländern und sprechen vor Ort mit Expert*innen und Mitarbeiter*innen sozial-digitaler Initiativen. Technische Innovationen entstehen nämlich nicht nur im Silicon Valley, sondern genauso auch im iHub Nairobi.

Das Mapping und die vielen Gespräche, die verschiedenen Perspektiven, die wir dabei kennenlernen, helfen uns dabei, herauszufinden, wo die Digitalisierung wirklich Probleme lösen hilft, welche Voraussetzungen es dafür braucht, wo Hürden und Risiken liegen. Wir bezeichnen uns zwar als Digitaloptimisten, sind dabei aber nicht naiv. Die Fragen nach dem Sammeln und dem Umgang mit sensiblen Daten sowie der Problematik, dass die Digitalisierung zunehmend jene ausgrenzt, die noch nicht vernetzt sind, treibt auch uns um. So kamen wir zu unserem aktuellen Projekt, der digitalen Inklusion von Frauen.

Wieder in Deutschland nutzen wir unser Wissen und arbeiten mit Partnern aus Politik, Unternehmen und Stiftungen an verschiedenen Projekten. In diesem Fall sind es die Studie und die Formulierung von Empfehlungen zur Überwindung des digitalen Gender Gap, die wir auch erfolgreich in das W20-Communiqué eingebracht haben, das Frau Merkel in Vorbereitung auf den G20-Gipfel überreicht wurde.

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