Interviewserie Ausschuss Digitale Agenda: Netzpolitiker sind keine Paradiesvögel mehr, meint Jimmy Schulz

Foto: Christine Olma
Veröffentlicht am 07.02.2018

Langsam kehrt Normalität zurück ins Parlament: Am 31. Januar haben sich alle 23 ständigen Ausschüsse, die es in der vergangenen Legislaturperiode gab, neu konstituiert. So nimmt auch der Ausschuss „Digitale Agenda“ wieder seine Arbeit auf. Der Digitalausschuss wurde sogar von 15 auf 21 Mitglieder vergrößert – allerdings wird er als einziger Ausschuss wieder nur mitberatend und nicht federführend tätig sein. Wird diese Funktion ausreichen, um das Thema Digitalpolitik hoch auf die Agenda zu setzen? In der Interviewserie Ausschuss Digitale Agenda richtet UdL Digital diese und andere Fragen direkt an die alten und neuen Digitalpolitiker im Bundestag.

Wäre die FDP in den Jahren 2013-2017 im Bundestag vertreten gewesen, hätte Jimmy Schulz sicherlich schon früher dem Ausschuss Digitale Agenda angehört. In der neuen Legislaturperiode übernimmt der erfahrene Netzpolitiker und IT-Unternehmer den Vorsitz des Digitalausschusses – und ist außerdem Mitglied im Innenausschuss. Gemeinsam mit den frühen Netzpolitikern der anderen Bundestagsfraktionen und Experten hatte Jimmy Schulz in der 17. Wahlperiode in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung erarbeitet – von denen viele liegen geblieben sind. Über seine Pläne für den Ausschuss Digitale Agenda, auf dessen Tagesordnung auch wieder einige der Empfehlungen der Enquete-Kommission stehen dürften, sprach Jimmy Schulz im Interview mit UdL Digital.

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Foto: Christine Olma

Herr Schulz, Sie sind der neue Vorsitzende des Bundestagsausschusses Digitale Agenda. Als Vorsitzender können Sie netzpolitische Themen, die Sie für wichtig halten, auf die Agenda setzen. Welche werden das sein? Welche „Großbaustellen“ sehen Sie für die aktuelle Legislaturperiode?

Die Basis, um alle Bürgerinnen und Bürger an der Digitalisierung teilhaben zu lassen, ist schnelles Internet für alle Menschen. Wir benötigen daher mehr Glasfaseranschlüsse: „Strom, Wasser, Abwasser, Glasfaser“ muss eine Selbstverständlichkeit für jeden Haushalt sein.

Die Chancen der Digitalisierung müssen für alle Menschen – vom Kindesalter bis zur Rente – greifbar werden. Dazu bedarf es einer Kraftanstrengung im Bildungsbereich. Schulen müssen besser ausgestattet werden, Lehrer besser ausgebildet und Weiterbildungsmaßnahmen rund um die Digitalisierung für alle Altersgruppen gestärkt werden.

Außerdem müssen wir über ein „Recht auf Verschlüsselung“ für elektronische Kommunikation sprechen. Gerade im Bereich der IT-Sicherheit muss sich viel tun, wie der verstärkte Einsatz von Open-Source-Verschlüsselung. Auch im eGovernment-Bereich gibt es noch großen Handlungsbedarf. Open Data und freie Software sollten auch in der Verwaltung verstärkt beachtet werden.

Besonders müssen wir bei allen digitalpolitischen Vorhaben auf unsere Bürgerrechte schauen. Beispielsweise darf eine Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum nur unter strengen Vorgaben und wenn alle anderen Mittel ohne Erfolg ausgeschöpft wurden, stattfinden. Gerade die automatische Gesichtserkennung könnte das Ende der Anonymität im öffentlichen Raum bedeuten. Auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit gehören im Ausschuss Digitale Agenda auf die Tagesordnung.

Die hier angeschnittenen Themen können nur ein kleiner Ausschnitt sein. Digitalisierung und globale Vernetzung durchdringen all unsere Lebensbereiche, daher werden wir auch Themen aus allen Bereichen im Ausschuss Digitale Agenda diskutieren.

Der Ausschuss Digitale Agenda hat eine Besonderheit: Er ist vorerst nur mitberatend bei Themen der Digitalisierung tätig. Wie soll die neue Bundesregierung Ihrer Meinung nach die Digitalpolitik organisieren? Welche Rolle soll der Ausschuss Digitale Agenda dabei spielen?

Ich werde mich dafür einsetzen, dass der Ausschuss zusammen mit anderen beteiligten Ausschüssen federführend Themen beraten kann. Wir haben in unserem Ausschuss die Möglichkeit, Digitalisierung und globale Vernetzung in allen Facetten zu erfassen, Kompetenzen zu bündeln und ressortübergreifende Lösungen zu entwickeln. Netzpolitik muss parallel dazu auch von der Bundesregierung besser koordiniert werden. Dafür wäre ein Digitalministerium eine gute Lösung. Das hätte den Vorteil, dass Projekte im Bereich Digitalisierung schneller vorangetrieben werden könnten. Das Ministerium könnte auch gemeinsam mit anderen Ressorts Initiativen federführend koordinieren.

Als Vorsitzender haben Sie den Ausschuss als Ganzes im Blick. Zu den Mitgliedern gehören sowohl „alte Hasen“ der Netzpolitik als auch neue, junge Kollegen. Was erwarten Sie von der Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der anderen Fraktionen? Bei welchen Themen herrscht Einigkeit, bzw. wo sehen Sie große Differenzen?

Es ist mir ein großes Anliegen, dass wir uns gemeinsam für die Stärkung der Digitalpolitik einsetzen. Der Auftrag unseres Ausschusses lautet auch, auf eine Umsetzung der weiteren Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hinzuwirken. Viele der Handlungsempfehlungen wurden fraktionsübergreifend beschlossen – hier sehe ich großes Potential für gemeinsame Projekte. In anderen Bereichen, wie beispielsweise beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, wird es sicherlich Differenzen zwischen den Oppositions- und Regierungsparteien geben. So haben sich alle Oppositionsparteien klar gegen das Gesetz in der jetzigen Form ausgesprochen, die Mehrheit von Union und SPD will allerdings weiter daran festhalten.

In der 17. Wahlperiode waren Sie bereits Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, die zahlreiche Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung erarbeitet hat. Wie hat sich die deutsche Digitalpolitik seitdem entwickelt? Welche Erwartungen haben Sie für eine Neuauflage der GroKo?

Als ich zu Beginn der 17. Wahlperiode als Bundestagsabgeordneter meine Arbeit aufgenommen habe, galten wir Netzpolitiker als Paradiesvögel, als Außenseiter. Mittlerweile ist das anders. Die Netzpolitik ist bei (fast) allen und in allen Themenbereichen angekommen. Das ist erfreulich. Das heißt aber nicht, dass wir nun die Hände in die Hosentaschen stecken können. Es gibt zahlreiche Projekte, in denen wir hinterherhinken, da viele Entscheidungsträger erst sehr spät zur Einsicht gekommen sind, dass Digitalisierung und globale Vernetzung alle Lebensbereiche betrifft. Aber besser spät als nie. Umso mehr müssen wir jetzt auf das Gaspedal drücken.

In Ihrer „Bundestagspause“ haben Sie u.a. einen Verein für liberale Netzpolitik gegründet. Was macht für Sie liberale Netzpolitik aus?

Liberale Netzpolitik stellt die Chancen der Digitalisierung in den Vordergrund. Wir stellen uns die Frage, wie können Digitalisierung und globale Vernetzung das Leben möglichst vieler Menschen verbessern? Wie können wir allen Menschen Zugang zu neuen Technologien ermöglichen und damit ihre Eigenverantwortung stärken und Chancengerechtigkeit fördern? Dabei hat liberale Netzpolitik immer die Bürgerinnen und Bürger im Blick und positioniert sich klar für die Bürgerrechte im digitalen Raum und ein freiheitliches Internet. Das heißt, wir sind gegen Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern, wie z.B. bei der Vorratsdatenspeicherung, wir sind gegen den Einsatz von Staatstrojanern und plädieren für ein Recht auf Verschlüsselung, um ein paar Beispiele zu nennen. Liberale Netzpolitik setzt sich weltweit für ein freies Internet und für Meinungsfreiheit im digitalen Raum ein.

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