Smart-Country-Studie: Roadmaps für digitale Strategien auf dem Land

Viel Fläche, dünne Besiedlung: Hier liegen die Herausforderungen der Digitalisierung. Foto: CC BY-2.0 Flickr User kuhnmi. Bildname: DSC_9852-1 / Ausschnitt bearbeitet
Veröffentlicht am 20.07.2017

Dass „Smart Country“ sich anders als „Smart City“ noch nicht zum Buzzword in der Netzwelt entwickelt hat, ist vielleicht Zeugnis von der unterschiedlichen Entwicklung in puncto Digitalisierung in Deutschland. Unter anderem die Initiative „Smart Country“ des Internet & Gesellschaft Collaboratory versuchte dies mit einer Digitalen Agenda für den ländlichen Raum zu ändern. In einer neuen Studie geht die Bertelsmann Stiftung nun den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung auf dem Land nach. Die Studie „Smart Country regional gedacht – Teilräumliche Analysen für digitale Strategien in Deutschland“ hat das Ziel, ein differenziertes Bild von Deutschlands digitaler Entwicklung zu zeigen. Im Hinblick auf die Themen „Wirtschaftskraft ausbilden“ und „Daseinsvorsorge sichern“ will sie darüber hinaus Grundlagen bereitstellen, um entsprechende Strategien zu entwickeln.

Vor dem Hintergrund, dass besonders die digitale Transformation und der demographische Wandel eine Spaltung in Deutschland nach sich zieht, heben die Autoren der Studie auch die Rolle des Staates hervor, den digitalen Wandel aktiv zu begleiten und zu befördern – vor allem in den peripheren und weniger leistungsfähigen Regionen.

„Ihnen gilt es dabei zu helfen, passgenaue Smart-Country-Strategien zu entwerfen, die dazu beitragen, die langfristige Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Wandel auch in der Fläche zu gewährleisten, gleichwertige Lebensverhältnisse in den verschiedenen Teilräumen zu sichern und regionale Unterschiede langfristig zu verringern.“

Eine neue Digitalisierungs-Karte

Eine Voraussetzung dafür ist ein differenzierteres Bild von Deutschlands digitaler Entwicklung, denn die üblichen Differenzen von „Stadt – Land“ und „Ost – West“ greifen zu kurz, um die unterschiedlichen Entwicklungen auf dem Land zu verstehen, so die Autoren der Studie. In der Studie haben sie deshalb alle Stadt- und Landkreise einzeln untersucht. Der Fokus liegt dabei auf den Handlungsmöglichkeiten, also den wirtschaftlichen Chancen und Potenzialen, sowie den Bedürfnissen in Bezug auf die Sicherung der Daseinsvorsorge. Das Ergebnis sind acht Typen, die als Basis für eine gesamtdeutsche und spezifische Digitalstrategie dienen können:

  • Typ 1: Ostdeutsche Landkreise mit großen strukturellen Herausforderungen
  • Typ 2: Wachsende Landkreise mit guten Entwicklungschancen
  • Typ 3: Westdeutsche Kreise mit durchschnittlichen Entwicklungschancen
  • Typ 4: Teilweise städtische Kreise mit Strukturschwächen
  • Typ 5: Kreisfreie Städte mit erheblichen Strukturschwächen
  • Typ 6: Stabile städtische Zentren mit Entwicklungspotenzial
  • Typ 7: Dynamische städtische Zentren mit guten Entwicklungschancen
  • Typ 8: Prosperierende Zentren mit hervorragenden Zukunftschancen

Für Typ 1 stellt die Studie Prioritäten in den Bereichen „Lebensqualität“ (Kultur und Freizeit, Sicherheit und Katastrophenschutz sowie Gesundheitsversorgung), „Gesellschaft“ (mit den Unterthemen Bildung, inklusive Gesellschaft sowie Kreativität und Offenheit), sowie „Mobilität“ (lokale und internationale Erreichbarkeit, nicht motorisierte Optionen sowie integrierte IuK-Technologien) fest. Die beiden letzten Handlungsfelder gelten auch für Typ 2 bis 4. In den Städten (Typ 7 und 8) haben hingegen „Governance“ (mit den Unterthemen IuK und E-Governance, Transparenz und Open Data, kommunale Planung) und „Umwelt“ (nachhaltiges Ressourcenmanagement, Gebäude und Quartiere, attraktive Umwelt) Priorität.

Die Städte weisen auch die größten wirtschaftlichen Potenziale auf, gefolgt von den „wachsenden Landkreisen“ (Typ 2). Damit die anderen Regionen – allen voran Typ 1 – nicht abgehängt werden, empfehlen die Autoren verstärkte Konzentration auf die Bereiche Bildung und Kreativität.

Weiter untersucht die Studie die entwicklungsfördernden und -hemmenden Faktoren in den Regionen. Auch hier profitieren die Städte und Standorte von Universitäten. Benachteiligende Faktoren fanden die Autoren der Studie im Gebiet der früheren DDR und im Ruhrgebiet, aber auch im Saarland und der Region rund um Bremen.

Die Differenzierung der Studie auf Kreisebene zeigt auch die Vielfalt mancher Regionen auf. Die Kreisfreien Städte des Ruhrgebiets beispielsweise gehören gleich vier der Typen an. In Ostdeutschland ist die höhere Entwicklung von Gebieten rund um Berlin auffällig.

Viel Fläche, dünne Besiedlung: Hier liegen die Herausforderungen der Digitalisierung. Foto: CC BY-2.0
Flickr User kuhnmi. Bildname: DSC_9852-1
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Mehr als Netzausbau

In der Analyse finden die Autoren durchaus einen Zusammenhang zwischen Netzausbau und digitaler Entwicklung, jedoch bedeute mehr Breitband nicht zwangsweise höhere Entwicklungschancen:

„Vielmehr zeigt der Befund, dass die Breitbandverfügbarkeit zwar als notwendiges, aber eben nicht als hinreichendes Kriterium gelten kann; andernfalls wäre der Befund etwa für das Ruhrgebiet nicht zu erklären.”

In ihrem Fazit erklären die Autoren Netzausbau „als unabdingbar für eine positive Entwicklung von Regionen sowie die gesellschaftliche Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger“. Vor allem bei den Typen 1 bis 4 besteht hier dringend Handlungsbedarf. Gleichzeitig warnen sie, dass der derzeit prominente Ruf nach Netzausbau nicht die Entwicklung von spezifischen Smart-Country-Strategien ersetzen dürfe. Vielmehr noch ginge die Debatte sogar an den Kernthemen solcher Strategien vorbei, zum Beispiel im Hinblick auf den Einsatz neuer Technologien und dem Internet der Dinge.

„Viel wichtiger ist es, Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, in Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft dafür zu sensibilisieren, dass raumstrukturell differenzierte Strategien erforderlich sind. Es ist höchste Zeit, sich teilräumlich auf die faktischen Handlungsmöglichkeiten in der regionalen Wirtschaftsentwicklung sowie auf die konkreten Handlungserfordernisse in der staatlichen Daseinsvorsorge zu konzentrieren, um dadurch gleichwertige Lebensverhältnisse für alle zu sichern.“

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