Sondierungspapier von Union und SPD: Wenig Konkretes zur Digitalpolitik

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Veröffentlicht am 16.01.2018

Was im Abschlusspapier der Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD zum Thema Digitalisierung steht, lässt sich ganz unterschiedlich bewerten. Tankred Schipanski, CDU-Bundestagsabgeordneter und in der vergangenen Legislaturperiode Obmann im Ausschuss Digitale Agenda, identifizierte neben Europa die Digitalisierung als „Top-Thema“ in dem 28-seitigen Dokument. Mit dieser Einschätzung dürfte er weitgehend alleine stehen. So passen alle Textstellen zur Digitalpolitik wahrscheinlich auf eine DIN A4-Seite und sind – von Ausnahmen abgesehen – wenig konkret formuliert. Der Digitalverband Bitkom beispielsweise kommt zu einer ganz anderen Einschätzung als Schipanski und nennt den netzpolitischen Teil „Stückwerk“.

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Immerhin hat es die Digitalpolitik, anders als z.B. der Klimaschutz, in die Präambel geschafft. Der siebte der acht Spiegelstriche points hinter „Wir wollen“ lautet: „den digitalen Wandel von Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft für alle Menschen positiv“ gestalten. Das Sondierungspapier beginnt mit dem Europakapitel, im zweiten Kapitel „Wirtschaft, Digitalisierung, Bürokratie, Verkehr und Infrastruktur“ folgt dann der längste und konkreteste Teil zur Digitalpolitik.

„Wir wollen den flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen bis zum Jahr 2025 erreichen. Hierfür werden wir die Erlöse aus der Vergabe der UMTS- und 5G-Lizenzen zweckgebunden bereitstellen. Dabei sollen zukünftig nur die Ausbauschritte förderfähig sein, die mit Glasfasertechnologie ausgebaut werden. Die Lizenzvergabe werden wir mit Ausbauauflagen kombinieren, um bestehende Funklöcher zu schließen und 5G dynamisch aufzubauen. Wir gehen von einem öffentlichen Finanzierungsbedarf von zehn bis zwölf Mrd. Euro in dieser Legislaturperiode aus. Dabei wollen wir Synergien mit den Ländern sicherstellen.“

Diese Formulierungen riefen sofort eine große Verbändekoalition auf den Plan: Bundesverband Breitbandkommunikation (BREKO), Bundesverband Glasfaseranschluss (BUGLAS), der Deutsche Landkreistag (DLT) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) lesen die Vereinbarung so, als würden die Vokabeln „Ausbauschritte“ und „mit Glasfasertechnologie“ einen öffentlich geförderten Ausbau mit kupferbasiertem Vectoring / Super-Vectoring nicht ausschließen. Sie fordern, dass im Koalitionsvertrag eindeutig klargestellt werden müsse, „dass sich die Politik auf nachhaltige, reine Glasfasernetze bis in alle Gebäude Deutschlands fokussiert“.

Auch der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) geht davon aus, die Verhandler „weiter unter Rücksichtnahme auf die Telekom auf Übergangstechnologien, auf weitere Trippelschritte mit Vectoring und nicht endlich nur allein auf nachhaltige Technologien“ setzen. Damit könne das Gigabit-Ziel bis 2025 nicht erreicht werden. Die Schlussfolgerung des VATM:

„Für unseren Wirtschaftsstandort ist dies völlig unbefriedigend und gefährlich.“

Dass die Bieter für Mobilfunknetze quasi allein die Fördergelder für den Breitbandausbau aufbringen sollen, den dann zum Teil dieselben Unternehmen umsetzen sollen, dürfte in den nächsten Wochen für heftige Diskussionen und Lobby-Anstrengungen sorgen. In der letzten bekannt gewordenen Version des Entwurfs für das Jamaika-Sondierungspapier hieß es, dass über die Einnahmen aus der 5G-Lizenzverteilung hinaus ggf. auch Erlöse   aus   Bundesbeteiligungen   sowie Haushaltsmittel eingesetzt werden sollten.

Nur knappe Sätze zu E-Government und KI

Direkt im Anschluss an die Passage zum Breitbandausbau folgen drei Sätze zu den Themen E-Government und Künstliche Intelligenz:

„Wir wollen die Digitalisierung der Verwaltung und werden ein zentrales, einheitliches digitales Portal für Bürger und Unternehmen schaffen. Die Umsetzung werden wir mit großer Dynamik in dieser Legislaturperiode vorantreiben. Wir werden gemeinsam mit unseren französischen Partnern ein öffentlich verantwortetes Zentrum für künstliche Intelligenz errichten.“

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken schreibt dazu einem Statement auf ihrer Homepage: „Ich finde ein deutschfranzösisches Forschungszentrum eine tolle Sache, aber es reicht mir nicht. Ich wünsche mir vom meinem Parlament eine Enquete-Kommission, die sich mit Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in diesen Fragen auseinandersetzt.“ Auch die zwei Sätze zum E-Government kritisiert sie als nicht ausreichend:

„Ich lese nichts von einer modernen, offenen und effizienten, weil digitalen und vernetzten Regierung und Verwaltung als Vorbild für den digitalen Wandel – und was dazu notwendig wäre, also die Modernisierung der Register, eine Aus- und Weiterbildungsoffensive für die Verwaltung, Unterstützung für Verwaltungseinheiten, die sich auf den Weg machen und vieles mehr.“

Kein Geld für Digitalpakt

Für weiteres Rätselraten sorgt die Zukunft des Digitalpaktes für Schulen. Im Bildungs-Kapitel heißt es:

„Wir werden eine Investitionsoffensive für Schulen in Deutschland auf den Weg bringen. Diese umfasst zusätzlich zum laufenden Schulsanierungsprogramm die Unterstützung der Länder bei ihren Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, insbesondere Ganztagsschul- und Betreuungsangebote, Digitalisierung und berufliche Schulen.“

Während das „Programm Ganztagsschule“ aber auch im Finanzkapitel erwähnt wird – zwei Milliarden Euro sind von 2018 bis 2021 dafür vorgesehen – sind keine Mittel für die Digitalisierung an Schulen separat ausgewiesen. Die von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) dafür versprochenen fünf Milliarden Euro wären nur etwas weniger, als die Sondierer jetzt insgesamt für Mehrausgaben bei Bildung, Forschung und Hochschulen aufgelistet haben (5,96 Milliarden Euro).

Auf die Nachfrage eines Twitter-Nutzers zum Digitalpakt schrieb CDU-MdB Schipanski: „Kommt in KoaV rein. Bisher haben wir 28 Seiten Sondierungsergebnis. Ferner hat #Groko d letzten Legislatur #digipakt schon beschlossen.“ Ein Beschluss der alten Koalition zum Digitalpakt ist allerdings nicht bekannt, auch im Haushaltsentwurf der alten Bundesregierung für 2018 sind keine Mittel dafür vorgesehen.

Allgemeines zu IT-Sicherheit

In den Jamaika-Sondierungen wurden viele netzpolitische Fragen in der Innen-Arbeitsgruppe verhandelt – zum Beispiel wie es mit den Gesetzen zur digitalen Überwachung weitergeht, bei denen in dieser Legislaturperiode mit Gerichtsentscheidungen gerechnet werden muss. Gesetze wie das zur Vorratsdatenspeicherung waren ja in der Vergangenheit zumindest zeitweise auch zwischen Union und SPD umstritten. Falls die Verhandler von CDU, CSU und SPD dazu irgendetwas besprochen haben, dann haben sie es nicht ins Abschlusspapier einfließen lassen. Der komplette Abschnitt zu Digitalthemen im Abschnitt „Pakt für den Rechtsstaat“ lautet:

„Eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie setzt Datensicherheit voraus. IT-Strukturen müssen sicher betrieben werden können. Wir sind uns einig, dass dort, wo Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden können, Handlungsbedarf besteht. Es müssen gemeinsam zwischen Bund und Ländern, möglichst sogar in ganz Europa, Sicherheitsstandards für die IT-Strukturen und den Schutz der kritischen Infrastruktur entwickelt werden. Die Sicherheitsbehörden brauchen gleichwertige Befugnisse im Umgang mit dem Internet wie außerhalb des Internets. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Cyberabwehr soll ausgebaut, verbessert und strukturell neu geordnet werden.“

Oppositionspolitiker und auch die netzpolitische Szene kritisierte, wie viele Themen der Digitalpolitik im Sondierungspapier nicht erwähnt werden. Netzaktivist Arne Semsrott schrieb auf Twitter:

„Der Begriff ‚Daten‘ kommt übrigens dreimal im Sondierungspapier vor. Einmal im Wort ‚Datensicherheit‘, zweimal im Wort ‚Soldaten‘.“

Und wenn Themen vorkommen, dann werden sie oft nur kurz angerissen. Der komplette Abschnitt zum Verbraucherschutz besteht aus drei Sätzen. Die ersten zwei beschäftigen sich mit Digitalpolitik:

„Wir wollen den Verbraucherschutz auch in der digitalen Welt sicherstellen. Gleiches Recht für alle muss durch Netzneutralität und diskriminierungsfreien Netzzugang gewährleistet werden.“

Im dritten Satz wird die Einführung einer Musterfeststellungsklage angekündigt.

„Mehr und bessere Arbeit“ durch Digitalisierung

Auch im Kapitel Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht bleiben die Festlegungen zum Thema „Arbeiten 4.0“ überwiegend vage, der Begriff selbst wird gar nicht erwähnt.

„Das Zeitalter der Digitalisierung wollen wir als Chance für mehr und bessere Arbeit nutzen. Wir wollen deshalb neue Geschäftsmodelle fördern und gleichzeitig die Tarifbindung stärken. Die Arbeit auf Abruf nimmt zu, wir wollen jedoch sicherstellen, dass der Arbeitnehmer ausreichend Planungs- und Einkommenssicherheit in dieser Arbeitsform hat. Wir wollen einen Rahmen schaffen, in dem Unternehmen, Beschäftigte und die Tarifpartner den vielfältigen Wünschen und Anforderungen in der Arbeitszeitgestaltung gerecht werden können. Wir wollen Familien in ihrem Anliegen unterstützen, mehr Zeit füreinander zu haben und die Partnerschaftlichkeit zu stärken. Wir werden dazu Modelle entwickeln, mit denen mehr Spielraum für Familienzeit geschaffen werden kann“,

haben die Sondierer aufgeschrieben. Dann folgen Änderungen am bereits im letzten Koalitionsvertrag vereinbarten, aber auf Betreiben der Union nicht beschlossenen Recht auf befristete Teilzeit. Dabei handelt es sich u.a. um Beschränkungen bei der Unternehmensgröße. So soll der Rechtsanspruch nur in Firmen mit mehr als 45 Mitarbeitern gelten, in Unternehmen mit 45 bis 200 Mitarbeitern soll eine „Zumutbarkeitsgrenze“ von einem pro angefangenen 15 Mitarbeitern vorgesehen sein.

Diskussion über Umfang der Koalitionsverhandlungen

Welche Bedeutung hat das Sondierungspapier? Sowohl aus dem Konkretisierungsgrad der einzelnen Forderungen als auch aus der am Wochenende über die Medien ausgetragenen Diskussion zwischen Verhandlern von Union und SPD stellt sich diese Frage. Für die Digitalpolitik lässt sich aus dem Fehlen zahlreicher Themen schließen, dass noch ausführliche Verhandlungen nötig wären, um einen Koalitionsvertrag abzuschließen, der ähnlich detailliert ist, wie der letzte Vertrag der Großen Koalition von 2013 oder wie die Verträge, die in letzter Zeit auf Landesebene abgeschlossen wurden. Die Voraussetzung für solche Koalitionsverhandlungen wäre zum einen, dass die Delegierten des SPD-Parteitages am 21. Januar der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen. Zum anderen müsste die Union zu ausführlichen Gesprächen bereit sein. Die kolportierte Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Unionsfraktion am 12. Januar, dass sie bis Mitte Februar mit dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen rechnet, lässt aber daran zweifeln.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Sascha Klettke ist Chef vom Dienst und Analyst für Netzpolitik.

 

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