Vorratsdatenspeicherung: „Schädlichste Altlast der großen Koalition“

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Veröffentlicht am 09.11.2017

Mitten in den Sondierungsverhandlungen nutzten 23 namhafte NGOs aus dem Bürgerrechts- und Datenschutzbereich die Gunst der Stunde, bevor die Karten politisch neu gemischt werden, noch einmal Einfluss zu nehmen. In einem offenen Brief vom 28. Oktober 2017, der sich an den Bundesvorstand der Grünen und der FDP richtet, fordern die Unterzeichner die Parteien dazu auf, die aus ihrer Sicht „schädlichste Altlast der Großen Koalition“ abzuschaffen: die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten. Während sich die CDU im Wahlkampf nicht zu dem Thema geäußert hat, haben sich sowohl FDP als auch Grüne in ihren Wahlprogrammen für ein Aus der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Insofern appellieren die NGOs an beide Parteien,

„in den Koalitionsverhandlungen ein klares Bekenntnis zur Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten (§ 113a ff. TKG) in Deutschland einzufordern“.

Ein jahrelanger Kampf

Das Thema Vorratsdatenspeicherung ist seit mehr als zehn Jahren stark umkämpft. So zwang eine im Jahr 2006 erlassene EU-Richtlinie damals die Mitgliedsstaaten, ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu erlassen. In Deutschland trat ein derartiges Gesetz zwar 2008 in Kraft, dieses wurde jedoch in Folge einer Sammel-Verfassungsbeschwerde, die über 30.000 Bürger und Bürgerinnen unterzeichneten, im Jahr 2010 wieder gekippt. Den Strafzahlungen, die aufgrund der Nicht-Umsetzung seitens der EU-Kommission drohten, konnte Deutschland deshalb entkommen, weil die zu implementierende EU-Richtlinie 2014 selbst vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt wurde. In der Entscheidung des Gerichts hieß es, dass die Sammlung von Kommunikationsdaten, ohne dass diese in einem Zusammenhang mit einem Verbrechen stehen, unverhältnismäßig und unterschiedslos sei und deshalb gegen die EU-Grundrechtscharta verstoße.

Fünf Jahre konnten die Gegner der Vorratsdatenspeicherung aufatmen – dann brachte der Bundesjustizminister Heiko Maas trotz Widerstands aus den eigenen Reihen erneut ein Gesetz zur Vorratsspeicherung auf den Weg. Zwar hat das neue Gesetz einige Kritikpunkte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen, wenige Stunden allerdings, nachdem der Bundesrat grünes Licht für das Gesetz gegeben hatte, reichten mehrere Organisationen erneut Verfassungsbeschwerden ein. Die endgültigen Entscheidungen für diese Verfahren stehen noch immer aus.

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Als zwischenzeitlicher Höhepunkt der Diskussion über die von Justizminister Maas forcierte Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gilt ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, das im Rahmen einer Einzelfallentscheidung im Sommer 2017 klargestellt hat, dass das neue Gesetz nach Auffassung des Gerichts nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Die Bundesnetzagentur sah sich im Folge gezwungen öffentlich mitzuteilen, dass sie aktuell keine Maßnahmen zur Durchsetzung der Speicherpflicht betreiben wird. Schon im Gesetzgebungsverfahren zur Wiederbelebung der anlasslosen Datenspeicherung äußerte Telefónica Deutschland erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Vorhabens.

„Jamaika-Apell“ für mehr Bürgerrechte

Für die nächste Legislaturperiode erhoffen sich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Reporter ohne Grenzen e.V., der eco Verband der Internetwirtschaft e.V. und 20 weitere Organisationen die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung durch entsprechenden Druck seitens der Grünen und der FDP. In ihrem offenen Brief haben die NGOs bekräftigt, dass sie die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung für die Überwachungsmaßnahme des deutschen Staates halten, die „am tiefsten in die alltägliche Privatsphäre“ eingreift. Viele Bereiche der Gesellschaft – insbesondere solche, bei denen erwartet werde, dass die Daten vertraulich behandelt werden, würden durch die Vorratsdatenspeicherung ausgehöhlt. Außerdem

„untergräbt sie den Schutz journalistischer Quellen und beschädigt damit die Pressefreiheit im Kern“.

Zudem seien die Kosten der Vorratsdatenspeicherung so hoch, dass sie mittelbar – durch Preiserhöhungen – die Verbraucher belaste. Schließlich habe sich herausgestellt, dass die wahllose Vorratsdatenspeicherung zur Aufdeckung, Verfolgung und Bestrafung schwerer Straftaten überflüssig sei. Deshalb beeinträchtige sie insgesamt die Funktionsbedingungen des freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens und müsse beendet werden.

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